Willkommen im Winterpalais, willkommen im literarischen Gotha!

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Willkommen im Winterpalais, willkommen im literarischen Gotha!
Bereits vor 800 Jahren war Gotha eine Stadt der Dichter, Denker waren schon früher hier. Der gebildetste unter den Thüringer Landgrafen, Hermann I., residierte bis zu seinem Tode 1217 in unserer Stadt und er holte, wie Detlef Ignasiak sicherlich richtig vermutet, die klügsten Köpfe jener Zeit an seinen Hof. Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und ihre Zeitgenossen dienten ihm als Dichter und waren eben auch in seiner Burg in Gotha zu Hause. Von „800 Jahren Dichtung und Wahrheit“ zu sprechen, ist sicherlich für den heutigen Tag der richtige Grundsatz!

Bekommt der Gast eine Einladung ins Winterpalais, so weiß er, es kann sich dabei nur um einen ganz besonderen Ort handeln, denn nur drei bedeutende Bauwerke: das Haus des Prinzen Eugen von Savoyen in Wien, die Eremitage in Sankt Petersburg und die Stadtbibliothek zu Gotha dürfen sich rühmen ein Winterpalais zu sein.

Es ist mir deshalb im Namen des Stadtrates zu Gotha, meiner Stellvertreter im Amt, Herr Bürgermeister Schmitz-Gielsdorf und Frau Beigeordnete Mikolajczak eine besondere Freude, Sie an diesem herausragenden Ort deutscher und europäischer Geschichte, als unsere Gäste willkommen heißen zu dürfen.

Unser Gruß gilt an erster Stelle den Bauleuten, den Architekten mit ihren Planern, den Verwaltungsfachleuten im Hintergrund und den fleißigen Bibliothekarinnen. Die ersteren drei Gruppierungen übernehmen seit drei Jahren, die letzteren seit Wochen dafür Sorge, dass wir heute ein so wundervolles Haus der Literatur, der Bildung und der Wissenschaft, mitten in Thüringen, zentral in Deutschland, im Herzen Europas, eben in Gotha, der Öffentlichkeit übergeben dürfen.

Es ist für unsere Stadt eine ganz besondere Wertschätzung, dass wir heute als unseren Gast einen Mann begrüßen dürfen, der im Jahre 2007 mit seiner Frau nach Gotha kam, der von den jungen Schweißern so begeistert war, dass er öffentlich bei der Verleihung der „Goldenen Henne“ davon schwärmte, wie schön Gotha und wie intelligent hier die Bürger sind – herzlich willkommen Herr Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Horst Köhler.

„Die schöne Stadt Gotha hat sofort mein Herz gewonnen…“ mit diesen Zeilen trug sich am 25. Juli 2012 eine Frau ins Goldene Buch der Stadt Gotha ein, von der wir lernen durften, dass mäzenatisches Wirken kluge Projekte beflügeln kann – schön dass Sie heute bei uns sind, liebe Frau Friede Springer.

Unser Willkommensgruß gilt den Mitgliedern des Kuratoriums der Friede-Springer-Stiftung Frau Karin Arnold, Frau Marianne Birthler, Herr Prof. Dr. Christoph Markschies, Herr Prof. Dr. Manfred Gahr und Herrn Dr. Erik Lindner.

Der Freistaat Thüringen hat aus Mitteln des Städtebaulichen Denkmalschutzes dieses völlig zerstörte, zwei Jahrzehnte leerstehende Gebäude gerettet, Mittel aus der Kunst- und Kulturförderung haben die Eigenmittel und die Förderung der Friede-Springer-Stiftung zur Ausstattung des Hauses ergänzt. Wir danken dem Freistaat Thüringen und freuen uns sehr, dass der Thüringer Vizepremierminister und Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur bei uns ist – herzlich willkommen Herr Christoph Matschie.

„Am 28. August sollen wir nachmittags in Gotha einziehen und dann steht uns die große Freude bevor, dich zu umarmen, du wirst in uns schlichte, bescheidene Leute finden, die sehr wünschen dir nicht im Wege zu sein, aber so viel von deiner Gesellschaft genießen wollen, als es geht…“, Worte, die Prinzgemahl Albert von Großbritannien an seine im Winterpalais zu Gotha lebende Großmutter Caroline Amalie am 20. August 1845 schrieb, Worte, die uns aus dem Herzen sprechen, denn auch wir Gothaer freuen uns jedes mal, wenn wir seine Gesellschaft genießen dürfen – willkommen unserem Ehrenbürger Prinz Andreas von Sachsen-Coburg und Gotha, der heute von seiner Schwester und ihrem Gatten begleitet wird.

„Von hier schreibe ich Dir einige Worte, damit Du erfahrest, wie es uns geht und danke Dir vorher für alle Liebe und Treue, die Du mir auch in der letzten Zeit erwiesen hast; möge es Dir dafür immer recht gut gehen, wozu ich alles, was an mir liegt, zeitlebens beizutragen hoffe.“ Worte, die kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe einer Frau in die Feder diktierte, die mit ihrem Roman „Goethe und Christiane“ deutsche Buchgeschichte schrieb und die wir zu Recht als Ehrenbürgerin unserer Stadt rühmen – danke dass Sie bei uns sind, liebe Frau Dr. Sigrid Damm.

Die Deutsche Buchpreisträgerin Kathrin Schmidt, die Witwe des großen Gothaer Schriftstellers Hanns Cibulka, Frau Christa Cibulka, viele Direktorinnen und Direktoren namhafter Bibliotheken, die Bundestagsabgeordneten Frau Renner und Herr Schipanski, die Landtagsabgeordneten Herr Hey und Herr Dr. Pidde, den Altoberbürgermeister Werner Kukulenz, Frau Ortmann vom Landesamt für Denkmalpflege, die Vertreter der Presse und der Medien, stellvertretend Herr Schmid von der WELT, Frau Prof. Dr. Dagmar Schipanski und, stellvertretend für die schreibende Dichtkunst, die Schriftstellerin Antje Babendererde und alle die denken, ich hätte sie vergessen, möchte ich noch einmal sehr herzlich an diesem heutigen Festtage willkommen heißen.

Verehrte literarische Gesellschaft,

keiner weiß genau, wie viele Frauen und Männer es bisher waren, die uns so wundervolle Geschichten und Erzählungen schenkten, dass daraus Bücher wurden, die es galt in Bibliotheken zu sammeln, um jedem Bürger das Lesen zu ermöglichen. Heute im Zeitalter von Facebook, Twitter und WhatsApp, wo Nachrichten in Sekundenschnelle zum Empfänger eilen, merken wir gar nicht mehr, wie wir verlernen, zu lesen. Wir raten, wir deuten, wir kürzen ab. Und deshalb ist es uns in Gotha wichtig nach dem Lesen lernen, auch Leser zu bleiben. Das Sammeln von Büchern und das Lesen hat in Gotha eine gute Tradition und schon 1750 lädt Gymnasialdirektor Johann Heinrich Stuß zu einem Lesezirkel ein, wenige Jahrzehnte später entsteht ein Lesemuseum der Verlegerfamilie Becker.

Im Jahre 1883 gründet sich in Gotha die Gemeinnützige Gesellschaft mit dem Ziel der Schaffung einer Stadtbibliothek. Es ist genau die Zeit, als in der Stadt das berühmteste Buch verlegt werden soll, was je ein Gothaer Verleger bearbeitet hat. Die Schweizer Autorin Johanna Spyri findet 1881 in dem Gothaer Verleger Emil Perthes einen Mentor, der ihr die Herausgabe ihrer „Heidi-Bücher“ ermöglicht und seinem Verlag einen Millionenerfolg, ja den Weltbestseller beschert und Johanna Spyri schwärmen lässt „ich bin so glücklich, dass ich in Gotha mehr gefunden habe, als ich zu suchen gekommen war.“ Literatur hat eben auch etwas mit Gespür zu tun!

Zehn Jahre nach den ersten Bemühungen zur Gründung einer Stadtbibliothek ist es der Buchbindermeister Wilhelm Lang, der mit einer Spende von 41.000 Reichsmark die Stadtverordnetenversammlung von Gotha dazu bewegen kann, am 27. Februar 1898 die erste Gothaer Stadtbibliothek zu eröffnen. Damals wie heute steht eine Frau an der Spitze des Hauses. Was mit 5.800 Büchern und 4.670 Lesern begann, zog 1950 in die Orangerie ein, wo die größte Freihandbibliothek im Osten Deutschlands unter der Leitung des großen Schriftstellers Hanns Cibulka entstand. Er führte das Haus 30 Jahre und übergab dann für ein Vierteljahrhundert an Gudrun Dietmar, die wir ebenfalls heute unter uns begrüßen dürfen.

Mit der Entscheidung des Stadtrates zu Gotha, im Winterpalais mit Hofgärtnerhaus und Friede-Springer-Haus einen neuen modernen Lern- und Bildungsort Stadtbibliothek „Heinrich Heine“ zu schaffen, hat eine neue Qualität des Lesens in Gotha begonnen. Die neue Freizügigkeit in der Orangerie eröffnet nunmehr der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, ihre langgehegten Planungen zu einem Museum der Orangerie-Kultur, zu einer kleinen Gastronomie und einem Haus für die wertvollen Pflanzenbestände umsetzen zu können.

Gotha wird bereits unter Herzog Ernst dem Frommen als eine Stadt des Buches gerühmt. Dazu einige Beispiele: Mit der Herausgabe einer auch für einfache Leute gut lesbaren „Ernestinischen Bibel“ schuf der kluge Regent die Grundlage der Bildung seiner Landsleute, die Herausgabe des „Teutschen Fürstenstaates“ durch Veit Ludwig von Seckendorf markiert die Reform des Staatswesens in Deutschland, Rudolph Zacharias Becker wurde in Gotha mit seinem „Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute“  zum ersten deutschen Buchmillionär und Volksaufklärer Nummer Eins. Dass Lesen für Kinder Freude sein kann, wusste schon Andreas Reyher in seinem Schulmethodus, und Staatsminister Camillo Freiherr von Seebach, hat 1863 in diesem Hause formuliert „Der Unterricht in der Volksschule ist mindestens auf folgende Gegenstände zu erstrecken: Religion, deutsche Sprache mit Lesen und Schreiben, Rechnen, Erdkunde, Geschichte, Naturgeschichte und Naturlehre, Gesang, Zeichnen, Turnen.“  Grundsätze für das erste Deutsche Volksschulgesetz und das Lesen steht vorn an.

Interessant ist ein erst kürzlich entdeckter Fakt, der deutsche Literaturgeschichte in ganz neuem Licht erscheinen lässt. Goethes „Egmont“ und  Wielands „Oberon“ sind zuerst in Gotha gelesen worden, bevor sie in Druck gingen. Zentrum dieser Lesungen war der literarische Salon der Hofdame Juliane Franziska von Buchwald. Hier trafen sich die Dichter ihrer Zeit: Goethe ebenso wie Wieland und Herder. 1776 kam der bekannte Bühnenautor Friedrich Maximilian Klinger nach Gotha und trug in diesem Salon Episoden seines Buches „Wirrwarr“ vor, wobei ihn danach der Schriftsteller Christoph Kaufmann bedrängte, den Buchtitel unbedingt zu ändern. Sein Vorschlag war „Sturm und Drang“, jene Bezeichnung, die eine ganze Epoche prägte und in Deutschland die Geniezeit einläutete.

Dass manches Genie in Gotha noch versteckt ist, wird in den nächsten Jahren noch zu spüren sein. Wenn mit der Eröffnung dieses Hauses wieder eine „Geniezeit der Literatur und des Lesens“ angebrochen ist, dann bin ich sicher, dass wir in Gotha gute Entscheidungen getroffen haben.

Ich halte es täglich mit Goethe, der einst so treffend formulierte „in Gotha ist es mir so weich, wie einem Schoßkinde ergangen und sind mir wieder ganz neue Gedanken aufgeschlossen worden“ und Ihnen wünsche ich ganz nach dem Meister mit großen Respekt und Achtung vor dem, was Menschen hier geschaffen haben „ich habe nie gedacht, dass mir an eben dieser Stelle (in Gotha) so viel Gnädiges und Liebes widerfahren sollte.“

In diesem Sinne: Bleiben Sie uns gnädig verbunden und lieben Sie das Lesen!

Knut Kreuch

Fliesenstudio Arnold