Eckenkiekers Juchhei im Julei : Rundherum im Drehrumbum dabei!

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Ab heute auch online: Heini Eckenkieker’s Kolumne.

Alles Rätselraten hat ja nun ein Ende. Mindestens 115.000 Besucher kamen zum diesjährigen Gothardusfeste. Ich sah und las es mit eigenen Augen in der Tagespresse. Als in Gotha geborener Zeitungsfuzzi im Ruhestande bin ich natürlich besonders am Lokalteile informiert.

Hier gibt es nachwievor und weiterhin täglich allerlei Wissenswertes, Kurioses, Aufregendes, zuweilen gar Unglaubliches und Unfassbares zu lesen. Oscars Schreibertruppe begnügt sich ja bekanntlich mit monatlich einmaliger Rundschau, weswegen mitunter auch ein paar steinalte News mit ins Heft rutschen – Neuigkeiten, die seit Karl dem Großen keine Seele mehr hinter’m Ofen hervorlocken können. Sei’s drum – ich selbst bin ja auch nicht mehr der Frischeste.
Dann gibt es weltweit, also auch in Gotha, noch die kostenfrei verteilten Wochenblätter. Diese Postillen und Gazetten bedenken einige Bürgernde inzwischen mit herzlichster Abneigung.

Ich kann mir denken, warum. Redaktionell machen unsere Kollegen das genauso gut wie alle anderen Schreiberlinge. Aber an den eingelegten Werbe-Flugblättern scheiden sich die Geister und Sympathien. Zu Ostern und Weihnachten sehe ich den massiven Auftritt der Flyer-Flut ja noch irgendwie ein. Aber gestern kam, mitten in des Jahres Lauf, wieder so ein allgemein anzeigernder Werbeblock mit diesmal 19 (neunzehn!) Beteiligten und sich Beteiligenden. Ich ebenso alter wie fauler und gerissener Zeilenschinder zähle, auf das die erste Spalte auch recht voll werde, die ganze Bande auf:
Adli, Notte, WERE, ein Apotheken-Verbund, rael, IBO, Namro, Dill, Thamos Phipplis, Ronnmass, KSYJ (das kriegen Sie nie heraus), Rellor, Nnepy, noch einmal WERE, Haufkaus „sesom”, Maubarkt „moot”, tuget, Hurkesel sowie der Getrankemärkt Gasasser. Alle erkannt? Gut – der
dänische Möbelhersteller ist nicht so bekannt wie sein übermächtiger Mitbewerber aus Schweden. Und alle wollen sie ihr Geschäft machen. „Wer nicht wirbt, der stirbt…”, heißt es nicht nur im Einzelhandel. Klappern gehört zum Handwerk. „Tue Gutes und lass es jeden wissen”, heißt es unter Politikern.
Aber muss der Kram denn gleich 700 Gramm schwer sein und in einen schuldlosen Postkasten gezwängt werden? Je nun, werden meine Kritiker berechtigterweise anmerken – diese olle Kamelle, über die seit Kaiser Karl keine Sau mehr… – oh Mann, das hatten wir heute ja schon einmal. In Ordnung, Leute. Ich wurde ertappt. Nicht zum ersten Male mokiere, alteriere und echauffiere ich mich wegen dieser Ressourcenvergeudung. Ergebnis: Es blieb alles beim Alten und bleibt künftig beim potentiellen Altpapiere. Mirham’sja!
Aber ob sich dieser Blödsinn die nächsten 135 oder doch wenigstens 110 Jahre weiter halten kann und/oder wird?

Eine Antwort könnte aus Finsterbergen kommen. Inzwischen ein Ortsteil von Friedrichroda, wurde vor genau 135 Jahren, demnach im Dreikaiserjahr 1888, der erste Kurgast am ganz und gar nicht so finsteren Berge begrüßt. Ich sah und las es staunend mit eigenen Augen in der Tagespresse. Bereits ein Jahr später brachte jener „Gast Nummer Eins” sechs weitere Personen mit – und diese „gute Sieben” blieb dann folgerichtig auch sieben Wochen im Orte mit der guten Waldluft. Nicht umsonst punkten und prunken heute immer noch sowohl Finsterbergen als auch Friedrichroda als heilklimatische Kurorte derf Oberklasse. In Spitzenzeiten kamen bis zu 300.000 Besucher hierher. Beide Kurorte können gemeinsam auf aktuell 420.000 Übernachtungen pro Jahr verweisen. Da kann das Gothaer Gothardusfest mit seiner kaum wahrnehmbaren Besucherzahl von 115.000 Pappnasen getrost ein­packen. Und auch ein 110-jähriges Heimatmuseum findet sich in der Renitenzstadt natürlich nicht. Wohl aber in Finsterbergen, das mit dem dänischen Kurgast und Romancier Martin Andersen Nexö zwar nicht im Möbelfachhandel, aber immerhin in der Weltliteratur Bedeutung erlangte.

Wie gesagt – die Resilienzstadt wird sich strecken müssen, um ihren Führungsanspruch auch fürderhin begründen zu können. Vor der Tür und den Stadttoren steht die Europeade mit vermutlich mindestens 115.000 Betilgten und sich Beteiligenden. Eine Riesensache! Nicht zum 135. oder 110., aber doch zum 58. Male findet dieses schöne Festival statt – mir fällt beim besten Willen kein ironischer oder gar abwertender Kommentar ein. Eine gewisse Anerkennung mag erkennbar werden, wenn man aus der Tagespresse erfährt, dass unsere Referenzstadt bereits zum zweite Male Gastgeberin des bunten, reigenrunden Treibens sein darf.
Da die hiesige Obrigkeit traditionell über besten Kontakte zur himmlischen Wetterküche verfügt, sollte über dem Feste sonnenhell die lichte Lampe golden lächeln. Apropos: Die Goldbacher Siedlung mag es uns allen zeigen, wie so was gemacht wird. Keine 135 oder 110, aber doch immer noch imponierende 85 Jahre gibt es diese Siedlung am Rande der Reagenzstadt bereits. Baubeginn war demzufolge genau ein halbes Saeculum nach dem Dreikaiserjahr, konkret im Jahre 1938 – ziemlich genau ein Jahr, bevor das großgermanische Heldenherrenvolk sich selbst und bei dieser Gelegenheit gleich die halbe bekannte Welt ins Unglück zu stürzen begann.

Wie ich pazifistische, ungediente, militärroristische Memme ausgerechnet jetzt auf diesen Gedanken komme – inmitten all‘ der Vorfreude auf den großen Drehrumbum zwischen Buttermarkt und den beiden Hauptmärkten? Nun, in der Tagespresse fiel mir altem und verbrauchtem Friedensfreunde, der ich in Trügleben immer nur Bratwurst esse oder mich bei rasanter Ortsdurchfahrt fotografieren lasse, ein Schnappschuss ganz anderer Art auf:

Anlässlich der Bürgermeisterwahl in der Landgemeinde Hörsel berichtete der Lokalreporter und bebilderte seinen Text mit einer Aufnahme des Wahllokales. An der Wand im Hintergrunde ein Vierzeiler. Abenteuerliche Rechtschreibung, aber lesbar und – jetzt kommt’s! – sowas von lesenswert: „Wenn die Herr’n im Rathaus sitzen,/die Handwerksleut‘ bei der Arbeit schwitzen,/die Bauern auf das Feld ausgehen,/da muss das Land in Frieden stehen…”

Hammerhart, hm? Leute, wenn’s mir möglich wäre, würde ich das ganze ballernde Gesindel directement nach Trügleben schicken. Dort gibt es sie, die Schrift an der Wand. Ich sah und las sie mit eigenen Augen. Die Goth’schen mögen nun ihrerseits stolz auf den Friedenskuss am Friedenstein verweisen. Wohl wahr! Doch nun erst einmal auf zur Juchhei im Julei: Zum Tanze kommt, ihr Fänz! In uns’re Residenz!

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Juni-Ausgabe des Lokalmagazin Oscar am Freitag. Die nächste Ausgabe erscheint in der nächsten Woche.

 

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