Seit dem 23. Juni 2016 wird in ganz Europa über den von den Briten beschlossenen Brexit diskutiert, jenes Szenario, mit dem Großbritannien die Euro-Zone verlassen wird. Das Wort BREXIT bedeutet neudeutsch so viel wie Britanniens (BR) Austritt (EXIT). Heute sprechen wir von einem Austritt aus der gemeinsamen Zukunft Europas. Vor einhundert Jahren gab es schon einmal einen solchen Austritt der Briten, damals aber aus der gemeinsamen Geschichte.
Der Brexit 1917
Vor einhundert Jahren, am 17. Juli 1917, beschloss der englische Kronrat die Umbenennung des Namens seiner Dynastie “Sachsen-Coburg und Gotha“ in „Windsor“. Gleichzeitig legte der anwesende König Georg V. für sich und seine Nachkommen den Gebrauch der Ränge, Titel, Würden und Ehren eines „Herzogs von Sachsen“ und eines „Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha“ ab. Dem Cousin des englischen Königs und in Gotha regierenden Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha wurden alle englischen Titel und Anerkennungen sowie die Würde eines „Prinz von Großbritannien und Irland“ aberkannt. Damit waren alle Bindungen zwischen Großbritannien und Deutschland zertrennt.
Was führte zum BREXIT vor 100 Jahren?
Das Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in fast allen Ländern von der gleichen Familie regiert. Der Name jener Familie lautete „Sachsen-Coburg und Gotha“ und es handelte sich dabei um gemeinsame Nachkommen der Gothaer Prinzessin Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg und des Herzogs Ernst III. von Sachsen-Coburg-Saalfeld, die am 31. Juli 1817 in Gotha den Bund des Lebens schlossen. 1826 führte diese Verbindung zur Gründung des Herzogshauses von Sachsen-Coburg und Gotha. So waren der englische König Georg V., der russische Zar Nikolaus II., die russische Zarin Alexandra, der deutsche Kaiser Wilhelm II., der bulgarische Zar Ferdinand I., der König der Belgier Albert I., Königin Maud von Norwegen und Königin Marie von Rumänien, gemeinsame Mitglieder des Hauses von Sachsen-Coburg und Gotha. Dessen Oberhaupt war der jeweils regierende Herzog des Staates Sachsen-Coburg und Gotha – der englische Prinz Carl Eduard Duke of Albany. Queen Victoria hielt es an ihrem Lebensende für unmöglich, dass je wieder Krieg in Europa ausbrechen könnte, denn sie wusste, dass alle großen Länder des Kontinents von ihren Enkeln oder den Verwandten aus jenem deutschen Fürstenhaus Sachsen-Coburg und Gotha regiert wurden. Sie sollte sich täuschen, denn es waren ihre Nachkommen, die die „Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts“ nicht verhinderten.
Im 28. Juli 1914 begann der I. Weltkrieg und bereits einen Monat später standen sich die Familien des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha als Feinde auf dem Kriegsfeld gegenüber. In Großbritannien entwickelte sich im Laufe der Jahre und unter den Schmerzen des Krieges eine starke antideutsche Stimmung, die auch durch bewusste Äußerungen des Herzogs in der Öffentlichkeit, wie am 12. März 1917 vor dem Coburger Landtag „Ich bin stolz darauf ein deutscher Fürst zu sein und in deutscher Gesinnung hinter keinem der deutschen Fürsten zurückzutreten“, angeheizt worden sind.
Die Bevölkerung litt unter den Ereignissen des Krieges. Fast jede Familie Europas hatte Tote zu beklagen und der Funke der Revolution ergriff den alten Kontinent. Am 15. März 1917 verbuchte die Revolution ihren ersten Erfolg mit der Abdankung von Zar Nikolaus II. von Russland und dem Ende der 300-jährigen Herrschaft der Dynastie Romanow über das größte Land der Erde. Wenige Monate später wurden 17 Flugzeuge am Himmel über London gesichtet, deutlich erkennbar die Aufschrift “Gotha“. Dieser Bombenangriff vom 13. Juni 1917 ist symbolträchtig, denn die Tower Bridge und das nahegelegene Hafengelände wurden in Schutt und Asche gelegt. Bei einem Besuch im bombardierten Gebiet spürte der Regent den Zorn und Unmut gegen ihren König deutscher Abstammung. Um die Sympathie seines Volkes zurückzugewinnen und um dem Volk deutlich zu zeigen, dass er ein Engländer ist, wurde am 17. Juli 1917 im Kronrat der Beschluss zum Brexit, zur Trennung von der gemeinsamen Geschichte und den familiären deutschen Bindungen gefasst. Das Königshaus trug fortan den englischen Namen „WINDSOR“, obwohl die Abstammung aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha bestehen blieb.
Was König Georg V. zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war die Tatsache, dass sein Cousin in Gotha bereits am 7. Februar 1917 eine Trennung vollzogen hatte, denn er änderte das Staatsgrundgesetz des Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha. In dem am 12. März 1917 vom Herzog unterzeichneten Gesetz, lautet der wichtigste Satz „Mitglieder des herzoglichen Hauses, die einem außerdeutschen Staat angehören, verlieren das Recht der Regierungsnachfolge für sich und ihre Nachkommen, wenn ihr Heimatstaat Krieg gegen das Deutsche Reich führt.“ Damit hatte Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha die Trennung von seiner Familie, den ersten Brexit, bereits drei Monate vor seinem englischen Cousin vollzogen, obwohl er selbst ein englischer Prinz war, wie sein Onkel Alfred, der vor ihm von 1893 bis 1900 in Gotha regierte. Hätte dieses Gesetz 1893 nach dem Tod von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, dem Sohn der Gothaer Erbprinzessin Luise, bereits gegolten, wäre das Haus Sachsen-Coburg und Gotha regierungsunfähig gewesen, da Ernst ohne männliche Nachkommen verstarb.
Gotha einhundert Jahre später – ein Baum für die friedliche Zukunft
Gotha gedenkt einhundert Jahre später nicht etwa der Namensänderung, sondern den Opfern, die dieser Brexit der Geschichte vor einhundert Jahren forderte. Am Montag, dem 17. Juni 2017, wird Oberbürgermeister Knut Kreuch, um 16 Uhr, als Zeichen des Friedens und der Freundschaft zwischen Gotha und Großbritannien, im ersten englischen Garten auf dem Kontinent in Gotha, einen Baum pflanzen und in der Nähe der Stelle, an der 2007 bereits eine Mehlbeere gepflanzt worden ist und mit dem ersten Gothaer Friedensgespräch der Dialog zwischen Gotha und Großbritannien begann. Dieser führte unter anderem dazu, dass zwei englische Botschafter in den letzten zehn Jahren in Gotha weilten und Oberbürgermeister Knut Kreuch mit seiner Gattin Bärbel am 25. Juni 2015 in Berlin der englischen Königin Elisabeth II. während ihres Deutschlandbesuches vorgestellt worden ist.