Bakterium schützt Leber vor Alkoholschäden  

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Brokkoli und grünes Gemüse sind ein guter Schutz gegen die alkoholbedingte Fettleber. Das zeigen aktuelle Forschungen, die untersuchten, wie der Darm die Leber vor Alkoholschäden schützt. Foto: Helena Lopes/Pexels

Wien (red, 18. Oktober). Was passiert genau im Körper, wenn durch Alkohol die Leber geschädigt wird? Tim Hendrikx, Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien, hat die  bereits im Verdauungstrakt beginnende Mechanismuskette aufgedeckt, die hinter einer alkoholbedingten Fettleber steht. Gleichzeitig zeigten die Erkenntnisse, wo künftige Therapieentwicklungen ansetzen könnten, wie der Wiener Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) auf seiner Plattform „Scilog“ berichtet.

Die Fettleber gehört zu den Zivilisationserkrankungen. Große Bevölkerungsanteile sind davon betroffen, wobei Ernährung und Lebensstil großen Einfluss haben. Im Laufe der Erkrankung können zu den Fetteinlagerungen in dem Organ Entzündungen dazukommen. Der Körper reagiert und versucht die Zellen zu reparieren, was zu einer Vernarbung und Verhärtung der Leber, zu einer sogenannten Fibrose, führen kann. Ruft diese Erkrankung schwere chronische Schäden hervor, die die Funktion des Organs beeinträchtigen, spricht man schließlich von Leberzirrhose.

Dass sich auch der übermäßige Genuss von Alkohol auf die Leber schlagen kann, ist eine Binsenweisheit. Doch gerade diese Variante wurde lange Zeit vergleichsweise wenig erforscht. „Bis vor einiger Zeit lag der Fokus vor allem auf Fettleber-Erkrankungen, die nicht durch Alkohol bedingt sind. Erst in den letzten fünf bis zehn Jahren bekommt die alkoholbedingte Schädigung des Organs mehr und mehr Aufmerksamkeit“, erklärt Tim Hendrikx vom Klinischen Institut für Labormedizin der Medizinischen Universität Wien.

Der aus Belgien stammende Wissenschaftler hat sich einem der noch unerforschten Aspekte der Leber rund um den Einfluss des Alkohols gewidmet. Er konnte zeigen, wie bestimmte Regulationsmechanismen im Verdauungstrakt Einfluss auf die alkoholbedingte Schädigung der Leber nehmen – und wie man hier künftig mit Behandlungen eingreifen könnte.

Der Darm als Schlüssel für alkoholbedingte Lebererkrankungen
Natürlich gebe es weitgehende Überschneidungen im Verlauf von alkoholbedingten und nichtalkoholischen Fettlebererkrankungen. Gleichzeitig stellte Hendrikx klar, dass aes gibt es aber auch große strukturelle Unterschiede gebe: „Die im Verdauungstrakt vorhandenen Mikroorganismen werden durch den Alkoholkonsum stark beeinflusst. Man weiß, dass diese Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms einen besonders großen Einfluss auf die Entstehung der Erkrankung hat.“

Der Alkohol sei letztendlich dafür verantwortlich, dass Krankheitserreger aus dem Darm in die Blutbahn und zur Leber gelangen können, um dort Schaden anzurichten. „Der übermäßige Alkoholkonsum lockert die Epithelzellen im Verdauungstrakt, die hier eine erste Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger bilden. Diese Epithelschicht wird also brüchig, sodass die Pathogene in die Darmwand eindringen können“, erklärt Hendrikx. „Dieser Zusammenhang ist bei alkoholbedingten Lebererkrankungen viel ausgeprägter.“

Hendrikx und seine Kolleginnen und Kollegen nahmen bei ihren Forschungen einen ganz bestimmten Abwehrmechanismus im Darm in den Fokus: Es ist bekannt, dass im menschlichen Immunsystem der Botenstoff Interleukin-22 (IL-22) für die Produktion bestimmter, für die Abwehr relevanter Proteine zuständig ist. Diese – sie gehören zu den sogenannten Lektinen – gehen im Darm bei Alkoholkonsum drastisch zurück.

Genetisch veränderte Bakterien, die die Abwehr verbessern
In einem ersten Schritt konnte der Wissenschaftler anhand eines Mausmodells für alkoholinduzierte Lebererkrankungen – die Tiere bekommen dabei einen täglichen „Cocktail“ serviert, der eine bestimmte Menge Alkohol enthält – bestätigen, dass auch die Präsenz des Botenstoffs IL-22 im Darm bei Alkoholkonsum zurückgeht. Der nächste Schritt hatte einen besonders innovativen Charakter: „Ein Bakterium wurde genetisch so verändert, dass es IL-22 ausbilden konnte. Wenn wir die Mäuse damit fütterten, war am nächsten Tag mehr IL-22 in ihrem Darm vorhanden“, so Hendrikx. „Wir waren eine der ersten Forschergruppen, die diesen Ansatz im Mausmodell gewählt haben.“

Das Experiment gelang: Untersuchungen zeigten, dass durch die Absonderung der Bakterien auch die Abwehrmechanismen besser wurden. Weniger Pathogene gelangten vom Verdauungstrakt in die Leber, dort traten weniger alkoholbedingte Erkrankungen auf. Doch Hendrikx und sein Team gingen noch einen Schritt weiter. Die Forschenden nahmen noch ein bestimmtes Stoffwechselprodukt mit der Bezeichnung Indol-3-Essigsäure (IAA) unter die Lupe, von dem bekannt ist, dass es die Produktion von IL-22 stimuliert.

Brokkoli und grünes Gemüse liefern schützende Stoffe
IAA ist ein Abbauprodukt sogenannter Indole, die dem Körper beispielsweise mit Brokkoli und anderem grünen Gemüse zugeführt werden können. Auch hier zeigte sich das bekannte Bild: Durch Alkoholkonsum sank das Vorkommen dieser Stoffwechselprodukte im Körper. „Wir konnten letztendlich also eine vollständige Kette an Mechanismen offenlegen, die zum Entstehen von alkoholbedingten Fettlebererkrankungen beitrugen – von den Indolen über IAA und IL-22 zu den Lektinen, die verhindern, dass Pathogene die Leber erreichen“, resümiert der Wissenschaftler.

Hendrikx sieht zwei Möglichkeiten, wie die Erkenntnisse der Forschungen zu neuen Behandlungsmethoden führen könnten, die vor alkoholbedingten Lebererkrankungen schützen können. Ein Ansatz könnte sein, das Stoffwechselprodukt IAA zu isolieren und künstlich herzustellen, um es als Medikament zu verabreichen. Der zweite Ansatz wäre dagegen nur in einer sehr langfristigen Perspektive denkbar. „Im Prinzip haben wir bewiesen, dass man künstlich ein Bakterium schaffen kann, um eine Krankheit zu heilen“, sagt der Forscher. „Man könnte versuchen, diese Bakterien nun etwa in Form eines prä- oder probiotischen Drinks in den Menschen zu transferieren.“ Doch bis die Medizinforschung so weit ist, alle Bedenken zum Einsatz genetisch modifizierter Bakterien im menschlichen Körper auszuräumen, wird sicher noch viel Zeit vergehen.

Zur Person
Tim Hendrikx studierte Biomedizin an der Universität Hasselt in Belgien. Bereits bei seinem Doktorat, das er 2015 an der Universität Maastricht abschloss, beschäftigte er sich mit Lebererkrankungen. Für seinen Postdoc wechselte er an die Medizinische Universität Wien, ein mit 175.000 Euro dotiertes Erwin-Schrödinger-Fellowship des FWF ermöglichte schließlich eine zweite Postdoc-Phase an der University of California in San Diego, wo er die Arbeit an alkoholbedingten Lebererkrankungen vertiefte. Seit seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 2019 leitet Hendrikx eine Forschungsgruppe am Klinischen Institut für Labormedizin an der Medizinischen Universität Wien.

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