André Wesche im Gespräch mit Olli Dittrich

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Ein geschultes Auge für menschliche Ticks und Schwächen und die Fähigkeit, diese in punktgenaue Parodien und unverwechselbare Rollen einfließen zu lassen, zeichnen Schauspieler Olli Dittrich aus. Der 56-jährige ist der wohl vielseitigste Humorist der aktuellen deutschen Medienlandschaft, seine improvisierten Auftritte als Stammtischphilosoph „Dittsche“ genießen Kultstatus. Für die Satire „König von Deutschland“, das Langfilm-Regiedebüt von Helmut Dietls Sohn David, schlüpfte Dittrich in die Figur des ultimativen Durchschnittsdeutschen, der in ein Netz der Überwachung verstrickt wird und dabei über sich hinaus wächst.

Herr Dittrich, Sie haben in den Filmen „Late Show“ und „König von Deutschland“ Erfahrungen mit beiden Dietls gesammelt. Worin gleichen sich Vater und Sohn, worin unterscheiden Sie sich?

Sie unterscheiden sich in der künstlerischen Handschrift, sicher auch in den thematischen Vorlieben. Und sie reflektieren natürlich einen jeweils anderen Zeitgeist. Bei der Arbeit am Set sind beide sehr genau, sehr diszipliniert und von einer klaren Vision. Sie lieben ihre Schauspieler und man spürt stets die Hingabe, den Spaß am eigenen Tun. Helmut hat mir vor Jahren mal gesagt: „Am meisten begeistert die eigene Begeisterung!“. Das trifft auch auf David zu. Ihre Arbeit wird von Humor getragen, ohne dass es gleich Klamauk sein muss. Und beide lieben die Präzision – ich übrigens auch.

Um eine Frage des Filmes aufzugreifen: Ist „normal“ gut?

Wenn man als „normal“ oder „durchschnittlich“ bezeichnet wird, fasst man das meist als Makel auf, denn diese Begriffe sind eher negativ besetzt. Dabei sagt es doch zunächst nichts anderes, als das man in vielen Dingen des Lebens genauso tickt wie die meisten anderen. Im Film ist zeigen wir, wie ein sehr durchschnittlicher Mensch in seiner Arglosigkeit ausspioniert und rücksichtslos ausgebeutet wird. Das ist manchmal lustig und absurd, plötzlich aber auch unerwartet ernst und durchaus dramatisch. Diese Dinge liegen ja, wie wir alle wissen, oft dicht beieinander. Nicht nur in der Komödie.

Das Ausspionieren der Privatsphäre ist momentan ein großes Thema. Tatsächlich sammelt die Industrie die Daten der Verbraucher, analysiert ihr Kaufverhalten. Wie sehr beunruhigt Sie diese Entwicklung?

Ich nutze keine sozialen Netzwerke. Ich twittere nicht und ich habe keinen Facebook-Account. Für meinen Geschmack sind einfach viel zu viele persönliche Daten im Netz unterwegs. Es ist wirklich verblüffend, wie sehr sich Leute darin gefallen, Details ihrer Privat- und Intimsphäre in Wort und Bild öffentlich zu verbreiten. Der Schaden ist doch gar nicht absehbar und es spionieren keineswegs nur die Geheimdienste.

Wann hat bei Ihnen der Erkenntnisprozess eingesetzt, dass Sie kein Durchschnittstyp sind, sondern über ganz besondere Talente verfügen?

Beides schließt sich ja keinesfalls aus. Man kann ungewöhnliche Talente haben, sie erkennen und ihnen nachgehen. Und gleichzeitig muss man im alltäglichen Leben zurechtkommen. In jedem steckt daher auch ein Durchschnittstyp, sicher auch in mir. Ich mache schon verrückte Sachen gelegentlich und mein vielfältiges Berufsbild ist sicher von besonderen Talenten geprägt. Aber eben auch von sehr viel Fleiß und noch mehr Disziplin, sonst wird das nämlich alles nichts. Daher lebe ich eigentlich recht normal und bin absolut bodenständig.

Wie schwer ist es Ihnen als HSV-Fan gefallen, in „König von Deutschland“ einen Anhänger von Bayern München darzustellen?

Gar nicht schwer, gehörte ja zur Rolle. Uwe Seeler war Held meiner Jugend und ich bin Mitglied des Hamburger Sportvereins. Auch wenn der HSV zurzeit nicht oben mitspielt, wird sich das nie ändern. Von den Top-Vereinen steht mir Dortmund mit Abstand am Nahesten, die letzte Saison der Bayern war aber absolut überragend, das kann und muss man als Fußballfan neidlos anerkennen. Für Jupp Heynckes, der seine grandiose Trainerlaufbahn derart krönen konnte, hat mich das Triple besonders gefreut.

Ihr Fallschirmsprung im Film wirkt ziemlich echt.

Ich bin aber nicht selbst gesprungen. Katrin Bauerfeind und ich haben nur die Absprungszene gedreht, aus zwei Metern Höhe in einen Puffer aus Kartons und Matten. Den Rest haben wir dann den Profis überlassen, es musste ja schon alles ganz genau stimmen.

Sie haben in Jo Baiers Film „Stauffenberg“ Joseph Goebbels gespielt und ausschließlich positive Kritiken geerntet. Vermissen Sie ernste Rollenangebote?

Ich vermisse gar nichts und bin absolut glücklich mit dem, was ich tue. Es kommt, wie es kommt. Und die komischen Rollen sind im Kern ja fast immer sehr ernst. Egal, ob eine Figur dramatisch, komisch oder tragisch, ob ein Drehbuch zum Lachen, zum Weinen, Fürchten oder Grübeln ist: man muss doch an alles ernsthaft herangehen. Eine Rolle wie Joseph Goebbels war eine große Herausforderung, nicht nur, weil das Spiel einer solchen Figur keinen interpretatorischen Spielraum zulässt. Sondern auch, weil ich für die möglichst genaue, authentische Darstellung nur eine einzige, kurze Szene hatte. Eingebettet in eine historische Situation, die tatsächlich so stattgefunden hat und deren Glaubwürdigkeit sehr wichtig für den ganzen Film war. Wenn da etwas entgleist, ist der Schaden natürlich größer, als wenn man eine schlechte Beckenbauer-Parodie abliefert.

Das Fernsehen bedient das, was eine große Mehrheit – oder der Durchschnitt –  gern sehen möchte. Anspruch scheint dabei zunehmend häufiger ein Nischenprodukt zu sein. Kann man den Zuschauer nicht an Qualität heranführen?  

Öffentlich-rechtliche Sender sind beauftragt, genau diese Versorgung herzustellen. Sie müssen also auch Programme bieten, die unter Umständen nur auf eine kleinere Auswahl von Interessenten treffen. Sie müssen abbilden, was unsere Gesellschaft in allen Schichten interessiert und repräsentiert, auch in der Nische. Gleichzeitig aber auch breitenwirksames Fernsehen bieten, um die grundsätzliche Erhebung einer Gebühr zu rechtfertigen. Ein sicher häufig nicht gerade leichter Balanceakt, denke ich. Privatsender hingegen leben davon, Werbezeiten zu verkaufen oder durch das Programm direkt Einnahmen zu generieren, um das Unternehmen am Leben zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern und Programm zu erstellen. Ein bisweilen völlig anderer Ansatz in der Programmgestaltung, denn dauerhaft wenige Zuschauer bedeuteten automatisch ein unternehmerisches Risiko. Aber hierfür sind Programmplaner und Unternehmensmanager sowieso die richtigeren Ansprechpartner, ich bin Künstler und kein Medienstratege.

 

 

André Wesches Filmkritik zum „König von Deutschland“ lesen Sie hier.