Wir müssen unsere Brillen putzen!

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Wir müssen unsere Brillen putzen. Wir alle sind dran, denn es scheint, als haben wir Schmutz vor den Augen. Und wer will schon eine trübe Sicht sein Handeln beieinträchtigen lassen?

Ganz düster sehe ich zum Beispiel, wenn ich abends den Fernseher einschalte. Da ist es fast, als sehe ich schwarz. Da wird einer Handvoll leicht bekleideter Mädchen ein großer Traum versprochen, der sich aber nur für eine von ihnen erfüllen wird. Die anderen müssen eine Menge von unsinnigen Prüfungen und Aufgaben leisten, um zu einer unnatürlichen Puppe gemacht zu werden. Draußen auf der Straße laufen schattenhafte Figuren, die Augen von Magersucht gezeichnet, weil sie einem falschen Bild gefolgt sind.


Wollte ich früher eingesperrtes Leben sehen, so bin ich in den Zoo gegangen. Heute sehen wir Big Brother, während sich die Welt um uns verändert und Tausende für ihre Freiheit ihr Leben lassen. Wenn mir der Streit mit meinen Nachbarn nicht ausreicht, kann ich mir ab den frühen Nachmittagsstunden eine Aneinanderreihung von Familienkriegen und Gerichtsshows ansehen und mich am Abend dann auf seichte Unterhaltung bei der Suche eines Superstars freuen, dessen Gewinnen von vornherein abgekartet ist.


Doch wir blicken nicht durch. Es ist fast wie im alten Rom: Gebt ihnen Brot und Spiele. Primitiver kann uns unser deutsches (Ver)bildungsfernsehen nicht sein. Schlechte Unterhaltung ist wie schlechtes Essen. Mann wirft es uns direkt vor die Füße und wir fressen es auch noch mit wahnsinnigem Hunger, weil wir einfach nicht in der Lage sind, uns selbst zu ernähren. Doch das ist meine Sicht der Dinge. Vielleicht liegt es ja auch nur an der schmutzigen Brille.


Herzlichst, Ihre Bianca Albrecht
(balbrecht@oscar-am-freitag.de)


Publiziert: 5. Juni 2011, erschienen in der aktuellen Ausgabe von “Oscar am Freitag”