Wechmars 400 Jahre alte Glocke klingt in winterlicher Stille

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Die Glocke. Foto: Lutz Ebhardt

Bach-Stammort Wechmar (red/kk, 17. Dezember). Wird von der „Abendglocke“ gesprochen, so hört fast jeder das tiefe Summen der Donkosaken, wenn sie Ivan Kozlovs russisches Lied aus dem Jahr 1828 intonieren. Fast alle großen Künstler dieser Welt mit einem tiefen Timbre haben dieses Lied im Repertoire.

Gern gehört wird es noch heute in den unnachahmlichen Stimmen von Ivan Rebroff, Nicolai Gedda, Hein Simon (Heintje), Karel Gott, Peter Alexander oder vom Singenden Wirt, Gerd Bloch.

Kaum jemand weiß, dass „Wetscherni Swon“, so in Lautschrift geschrieben, der berühmte russische Titel, bereits 1818 von dem Iren Thomas Moore als „Evening Bells“ veröffentlicht worden ist. Er gab aber an, dass es eine alte russische Melodie sei.

Doch ganz egal, wie berühmt und wie alt dieses schöne Lied ist, die Abendglocke auf dem Turm der Wechmarer Sankt Viti Kirche ist viel älter, denn sie ist vor 400 Jahren gegossen worden.

Wohl schon 786 – im Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung Wechmars – ist davon auszugehen, dass eine Kirche im Ort bestand, denn die alte, im 19. Jahrhundert abgerissene „Sankt Veit“-Kirche zu Wechmar konnte auf Bauteile verweisen, die aus vorromanischer Zeit stammten. Diesem alten Kirchenbauwerk stiftete im Jahr 1621 Bernhard Mengewein (1570?-1639) aus Wechmar eine Glocke, die die Menschen seither durch alle Zeiten bis ins 21. Jahrhundert begleitet hat.

Wie kam es dazu? Am 14. Januar 1598 erwerben die Grafen von Gleichen in Wechmar den Rittergutsbesitz der Familie von Kromsdorf. Da sie nicht selbst diesen landwirtschaftlichen Betrieb bearbeiten können, verpachten sie ihn an Verbündete oder treue Gefolgsleute.

Ihr erster Pächter war Hans Gossel aus Wechmar und diesem folgte am 30. November 1621 Bernhard Mengewein. Mit dem Kauf des Rittergutes in Wechmar verbindet die Familie Mengewein auch die Stiftung der Glocke, die wohl zum Heiligabend 1621 zum ersten Male erklang.

Die vierhundertjährige Abendglocke von Wechmar hängt mit ihren drei jüngeren Geschwistern auf dem Turm der 1843 eingeweihten Sankt-Viti-Kirche zu Wechmar und sie kann viel mehr erzählen, als all die anderen Glocken.

Kaum geweiht erklang die Glocke von 1621 bis 1648 immer wieder als Hilferuf an Wechmars Bevölkerung, wenn sich plündernde Soldaten oder kriegerisches Volk im Dreißigjährigen Krieg dem Dorf näherten. Als sie 60 Jahre auf dem Turm hing, musste der Kirchenbau einer dringenden Reparatur unterzogen werden, die Pfarrer Johann Heinrich Syrbius in seiner Predigt „Renovalia Wechmariense 1681“ beschrieb. Im 18. Jahrhundert gesellte sich die große Glocke zum Glockenspiel dazu, die aber in den 300 Jahren ihres Bestehens schon mehrfach zersprungen und repariert worden ist, zuletzt im Jahr 2000. Das 19. Jahrhundert begann mit intensiven Diskussionen, ob die alte Kirche saniert oder abgebrochen werden soll. Die Bevölkerung entschied sich für den Neubau eines Gotteshauses und so wurden die Glocken vom Turm genommen und am 7. November 1843 wieder aufgezogen, wobei die kleine Taufglocke eine neue silberne Glocke war, die den Schultheiß Stichling und der Obermüller Roth stifteten. Diese Glocke wurde im I. Weltkrieg eingeschmolzen und durch eine Stahlglocke ersetzt. Im II. Weltkrieg wurden drei Glocken fortgeschafft, nur die Abendglocke blieb auf dem Turm und wie durch ein Wunder wurden die anderen drei Glocken 1948 auf einem Glockenfriedhof in Nordhausen wiedergefunden.

Die Abendglocke läutete, als der Spielmann Hans Bach, Stammvater der Musikerdynastie Bach, 1626 zu Grabe getragen wurde. Ihr Ruf erklang, als 1640 Herzog Ernst der Fromme begann, sein Land Sachsen-Gotha wiederaufzubauen. Als Napoleons Truppen die Speisekammern plünderten und Soldaten aus vielen Ländern durchs Dorf zogen, war ihr Glockengeläut zu hören. Freude verband sich mit ihrem Klang, als 1843 die größte Dorfkirche Thüringens eingeweiht worden ist und sie spendete Trost den Menschen, deren Angehörige von den Schlachtfeldern des Deutsch-Französischen Krieges sowie nach zwei verheerenden Weltkriegen nicht mehr nach Hause zurückkehrten. Im November 1989 machte ihr Ton Mut, den Weg zur Einheit Deutschlands zu gehen. Möge die Mengeweinsche Abendglocke von Wechmar noch viele Jahrhunderte in Frieden erklingen.

Text: Knut Kreuch

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