Klug-Scheißereien: Sandmann

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von Rainer ASCHENBRENNER

Warum reibt man sich die Augen, wenn man müde ist? Weil der Sandmann Schlafsand reingestreut hat…

Mir ist nun klar, welch grausamen Hintergrund diese scheinbar harmlose Bemerkung hat: „Der Sandmann ist da! Der Sandmann ist da! Er hat so schönen weißen Sand, ist allen Kindern wohlbekannt …“ An das alte Kinderlied musste ich denken, als ich jüngst das Buch „Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreißern“ vom Michaela Vieser und Irmela Schautz (Bertelsmann Verlag, 19,99 Euro) in die Hand bekam.

Die Autorinnen gruben vergessene Berufe aus und kamen dabei auch auf den „Sandmann“ zu sprechen. Nicht einmal hundert Jahre ist es her, da gab es noch diesen Beruf. Tagelöhner gruben Sand ab, mahlten ihn in der Mühle fein und verkauften ihn dann. Sand wurde aber auch aus Sandstein gewonnen.

Genutzt wurde er zum Putzen: Samstag wurde die gute Stube gewischt, danach feiner Sand auf die Dielen und Böden geschüttet. Den Rest des Tages liefen die Bewohner darauf herum, um am Abend den Sand samt Dreck auszukehren. Die Böden waren danach blitzeblank und sauber geschmirgelt. Holzbottiche und von Gefäße, in denen Milchprodukte gelagert wurden, reinigte man mit der etwas gröberen Variante des Scheuersands. Eine ganz besonders feine Sorte hingegen wurde zum Löschen von Tinte verwendet. Und zum Händewaschen nutzten unsere Vorfahren nebst Seife und Soda auch Sand.

Sandmänner – wie übrigens Aschenbrenner – waren häufig die Ärmsten der Armen. Zudem lebten sie nicht lange. Sand rieselte in ihre Augen, die sich davon entzündeten und rot anliefen. Und er sammelte sich langsam, aber allmählich in ihren Lungen. Als ein Arzt einst die eines toten und obduzierten Sandmanns zerschnitt, schilderte er das Gefühl beim Sezieren mit plastischen Worten: Er habe gemeint, durch Sand zu schneiden.

Das alles hat sogar mit dem netten Kerlchen zu tun, der die Kinder ins Bettchen schickt: E. T. A. Hoffmann inspirierten die schwindsüchtigen, rotäugigen Sandmänner zum unheimlichen Monster, das Kindern die Augen aussticht. Rieben sich die Kinder abends die Augen, so sei der böse Sandmann daran schuld.

Hans Christian Andersen kehrte die Geschichte ins Gute: In seinem Märchen bot der Sandmann den Kindern abends süße Milch an, um die Augen zu benetzen.

Und von da war es nicht mehr weit zum guten Sandmann, der ausschließlich Traumsand streut…

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