André Wesche im Gespräch mit Schauspieler Ulrich Tukur

0
1262

Er war der intrigante Stasi-Leutnant in „Das Leben der Anderen“, der gestrenge Baron in „Das weiße Band“ und Generalfeldmarschall Erwin Rommel im großangelegten TV-Film „Rommel“: Ulrich Tukur zählt den gefragtesten Charakterdarstellern des deutschen Films. Mit seiner Band „Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys“ sorgt der 56-jährige auch musikalisch regelmäßig für ausverkaufte Säle. In Bastian Günthers Drama „Houston“ verkörpert Tukur nun einen alkoholabhängigen Headhunter, der an einem zermürbenden Auftrag in den USA zu zerbrechen droht. Ein Gespräch über Alkoholismus, amerikanische Paranoia und den Wulff-Prozess, in dem es am Rande auch um den Film „John Rabe“ mit Tukur in der Titelrolle geht. 

Herr Tukur, „Das Schwein von Gaza“, „Exit Marrakech“ und nun „Houston“ – Sie kommen in der letzten Zeit viel herum.

Ja, es gab viel zu tun, und ich bin ein Mensch ohne geografische Zugehörigkeit. Einer, der sich in ständiger Bewegung befindet und kein wirkliches Zuhause hat. Das hat Vor- und Nachteile. Wenn man das viele Jahre so macht, ist es nicht mehr so großartig, wie man sich das vielleicht vorstellt.

 

Was für ein Bild haben Sie sich von Ihrem Charakter Clemens Trunschka aus „Houston“ geschaffen?

Er ist ein Mensch, der sich wie so viele in einem System abstrampelt, das er längst nicht mehr überblickt und einen Druck aufbaut, dem er nicht mehr gewachsen ist. Wir lernen ihn bereits als beschädigte Figur kennen. Das Familienleben funktioniert nicht mehr richtig. Ängste und innere Leere schüttet er mit Alkohol zu. Die Fassade wird verzweifelt aufrechterhalten, dahinter bröckelt es. Ich habe ein großes Mitgefühl für Menschen, die an ihren Lebensumständen verzweifeln und nicht die Kraft oder den Mut aufbringen, das Ruder herumzuwerfen, um auszusteigen aus diesem Karussell des Irrsinns. Sie gehen sang- und klanglos unter, wie es unser Trunschka tut. Die Figur hat mich in ihrer Hilflosigkeit und Traurigkeit angerührt. Ich habe selten jemanden gespielt, der so wenig mit den Dingen zurechtkommt. Der Film macht nicht viele Worte, Schmerz und Verzweiflung zeigen sich im Gesicht.

 

Wie stehen Sie dieser immer schneller werdenden Welt gegenüber?

Verblüfft. Was bringt diese idiotische Geschwindigkeit und dieser Druck für unser Glück? Und warum erschafft der Mensch Systeme, die ihn am Ende überflüssig machen? Muss alles, was technisch möglich ist, auch gemacht werden? Es läuft etwas grundsätzlich falsch. Aber es läuft nun einmal, die Systeme haben ein Eigenleben entwickelt, und während wir noch denken, wir könnten die Zukunft beeinflussen, haben wir schon die Kontrolle über die Gegenwart verloren. Wie Trunschka. Wir sitzen auf der Tribüne des Irrsinns und dürfen dabei zusehen, wie dieser wunderschöne Planet Stück für Stück der Gier und Verantwortungslosigkeit  zum Opfer fällt.

 

Denken Sie, dass dieser Prozess noch umkehrbar ist?

Ich glaube das nicht. Ich denke, dass tatsächlich alles, was möglich ist, auch gemacht werden wird. Da ist der Mensch haltlos. Es ist seine Bestimmung, Gott zu werden oder Gott spielend in den Abgrund zu fahren. Wir haben uns eine Lebenswelt geschaffen, in der im Wesentlichen alles den wirtschaftlichen Kreisläufen unterworfen ist. Alles wird industrialisiert, in seine Einzelteile zerlegt, und das Göttliche, das Geheimnis, die Seele, die sich der wissenschaftlichen Vivisektion entzieht, verschwindet. Der sehnsüchtige Mensch, völlig anders geschaffen, leidet und schluckt Tabletten oder betäubt sich anderweitig. Und selbst daran wird Geld verdient.

 

Der Filmheld greift zum Glas. Sie stellen seinen Alkoholismus mit großer Zurückhaltung dar. Wie haben Sie diese Darstellung erarbeitet?

Ich kann mir das ganz gut vorstellen. Ich habe ja auch selbst entsprechende Feldstudien betrieben. Zum Glück bin ich aber nicht suchtstrukturiert. Ich weiß, wann Schluss ist, und wann der Preis, den man zahlt, höher wird als das Vergnügen, das man hat. Mir war es wichtig, die Darstellung nicht zu übertreiben. Trunschka trinkt immer, aber eher dezent und man ahnt, dass er ein Problem hat. Als ich den Film zum ersten Mal sah, dachte ich sogar, dass er vielleicht etwas aggressiver hätte trinken müssen. Trunschka hat ständig Alkohol im Körper, um funktionieren zu können. Solchen Menschen merkt man es nicht an, und man sollte sich als Schauspieler nicht zu sehr draufsetzen. Aber es ist ja kein Film über Alkoholismus, sondern einer über eine Welt, die so unmenschlich geworden ist, dass man sie nicht mehr erträgt, ohne sich zu betäuben.

 

Es ist kein Geheimnis, dass viele große Schauspieler vergangener Tage an der Flasche hingen. Ist das auch heute noch so?

Ich kenne das noch aus meinen Anfangstagen am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Von den alten Schauspielern hatte fast jeder ein Alkoholproblem. Und es sind auch viele am Alkohol kaputt gegangen und keiner von ihnen ist viel älter als 70 geworden. Der Leistungsdruck in diesem Bereich war natürlich auch schon immer besonders hoch. Tatsächlich hat sich das geändert. Schauspieler saufen nicht mehr so, sie joggen und ernähren sich vernünftig, sind aber auch langweiliger geworden. Die barocken Figuren von früher gibt es nicht mehr.

 

Was für ein Verhältnis haben Sie zum Amerika unserer Tage?

Ich hatte ein sehr intensives Verhältnis zu Amerika. Ich habe eine High School in Boston besucht, war mit einer Amerikanerin verheiratet und habe zwei Töchter, die Amerikanerinnen sind. Ich erinnere mich gut an das Amerika der Siebziger Jahre. Es war ein liberales Land, und ich hatte dort eine sehr lustige, entspannte Zeit. Den Humor und die Hemdsärmeligkeit der Amerikaner habe ich sehr genossen. Heute ist es ein anderes Land. Es ist die Angst dort eingezogen, und wahrscheinlich ist auch sie ein riesiges Geschäft. Wenn man heute in die USA einreist, ist man auf ungute Weise an den Übertritt in die DDR erinnert, und im Land selbst hat man stets ein ungutes Gefühl der Bedrohung. Ich befürchte, die Bush-Administration ist am 11.9.2001 genau in die Falle gelaufen, die ihr von den Islamisten gestellt wurde. Sie hat so reagiert, wie die sich das wünschten. Unvernünftig, kopflos und der Sache völlig unangemessen. Das Ergebnis ist ein paranoides Land, das mit dem Gedanken der Freiheit, für die es stand, nichts mehr zu tun hat.

 

Im Film sieht man Sie im Anzug in der Badewanne. Ist die Ähnlichkeit zum Fall Barschel gewollt?

Im Drehbuch stand, dass Trunschka nach einer durchsoffenen Nacht angezogen in der Badewanne erwacht. Irgendwann kamen wir darauf, dass die Position und der Anzug sehr an das berühmte Foto erinnerten, das den toten Politiker zeigt. Natürlich sind beide Schicksale nicht miteinander zu vergleichen, und das wollten wir damit auch nicht zum Ausdruck bringen. Aber wie Trunschka hat auch Barschel unter einem brutalen Druck gestanden, wusste keine Lösung mehr und befand sich in totaler Einsamkeit.

 

Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie den Wulff-Prozess, in dem auch der Film „John Rabe“ eine gewisse Rolle spielt?

Ich habe Herrn Wulff als Ministerpräsidenten von Niedersachsen kennengelernt und sein Absturz ging mir sehr nahe. Sicher hat er Fehler gemacht, sicher hat er sich nicht adäquat verhalten und wahrscheinlich ist er auch keine glückliche Besetzung als Bundespräsident gewesen. Aber er war ein Mensch, und er hat einiges geleistet. Das Verhalten der Medien und vieler selbstgerechter Menschen im Land hat mich an die Erregung der Jäger auf einer Treibjagd erinnert und zutiefst erschreckt. Die Verfehlungen von Herrn Wulff haben niemals diese Art der öffentlichen Hatz und Hinrichtung gerechtfertigt. Ich habe mich dafür geschämt.

 

Gespräch: André Wesche