Chip-Pflicht und Führerschein für „Raubtiere“

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Das zum 1. September 2011 in Kraft getretene Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren ist mit der heißen Nadel gestrickt. Eltern von gebissenen Kindern, Betroffene, Tierärzte und Hundehalter haben gerungen. Anfeindungen waren keine Seltenheit – und immer im Rücken der Landtagsabgeordneten: Die tickende Uhr. Die Öffentlichkeit habe auf das Gesetz gedrängt, beklagen Politiker. Mit dem Ergebnis müssen nun alle Seiten leben.

„Ich habe bisher bei keinem anderen Gesetz erlebt, dass so erbittert gestritten wurde“, schätzt Matthias Hey. In ungezählten Telefonaten, Zuschriften, E-Mails und persönlichen Besuchen hätten sich auch eine Vielzahl von Bürgern aus dem gesamten Freistaat direkt an den Vorsitzenden des Innenausschusses des Thüringer Landtages gewandt. Am 1. September ist es nun in Kraft getreten. Doch so richtig glücklich ist damit keiner.

Im Freistaat wird für alle Hundehalter eine Haftpflichtversicherung für ihre vierbeinigen Freunde obligatorisch. Paragraf zwei, Absatz fünf Thüringer Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren sieht vor, dass nunmehr der Halter jedes Hundes verpflichtet ist, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Und das mit einer Mindestversicherungssumme in Höhe von 500000 Euro für Personenschäden und in Höhe von 250000 Euro für sonstige Schäden. „Die finanzielle Mehrbelastung wird sich aber in Grenzen halten, denn laut Aussagen großer Versicherungsverbände besitzen schon mehr als 70 Prozent aller Hundehalter eine derartige Haftpflichtversicherung“, so Matthias Hey.

Neu ist eine Kennzeichnungspflicht über einen Mikrochip für alle Hunde, so kann eindeutig geprüft werden, wer der Halter des jeweiligen Tieres ist. „Das ist vor allem für die Kommunen wichtig, da immer mehr Hunde verantwortungslos ausgesetzt werden und die Stadt die Kosten für diese herrenlosen Tiere übernehmen muss“, erklärt der Thüringer Politiker.

Darüber hinaus müssen die Halter von Pitbull-Terriern, American Staffordshire-Terriern, Staffordshire-Bullterriern, Bullterriern sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden zukünftig einen Sachkundenachweis, also einen „Hundeführerschein“ besitzen. Bleibt die Frage, ob damit in Zukunft solche Unfälle vermieden werden können. „Nein!“, meint Jens Berndt von der Hundeschule Albersdorf. „Für mich steht eines fest: Trotz dieser Nachweise wird es immer wieder solche Unfälle geben! Leider!“, so der Hunde-Experte. Warum er dieser Ansicht ist?  Aus Erfahrung: „Seit zehn Jahren arbeite ich beruflich mit Hunden und ihren Haltern. Ein Großteil der Hundehalter ist ausgestattet mit der nötigen Vernunft und dem Verständnis, das es braucht, ein Raubtier zu führen.  Aber eben nicht alle“, erklärt der 44-Jährige, selbst Vater dreier Kinder und Halter drei großer Hunde. „Bei einigen Haltern vermisse ich den nötigen Respekt vor dem tatsächlichen Verhalten eines Raubtieres.“ Denn eben das und nichts anderes sei ein Hund.


Dem Argument, dass die Aufstellung einer solchen Rasseliste in einem Gesetz gar nicht zulässig ist, widerspricht das Thüringer Innenministerium: „Nein, das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2004 die Verwendung einer Rasseliste durch den Gesetzgeber ausdrücklich für verfassungsrechtlich zulässig gehalten.“ Wörtlich: „Der Gesetzgeber darf im Rahmen seines Einschätzungs- und Prognosespielraums verfassungsrechtlich unbedenklich davon ausgehen, dass Hunde der Rassen Pitbull-Terrier, American Staffordshire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier für Leib und Leben von Menschen in besonderer Weise gefährlich sind, und zwar insbesondere deshalb, weil sie … im Verhältnis zu ihrem Bestand überproportional häufig an Beißvorfällen beteiligt waren.“

Aber das neue Gesetz betrifft alle Hundehalter. Nicht nur die von so genannten Kampfhunden. Laut § 16 Abs. 3 ThürTierGefG ist das „Chippen“ jedes Hundes innerhalb von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes nachzuweisen. Die Hundehalter haben also bis zum 1. März 2012 Zeit, dem nachzukommen.


Welchen Sinn hat die Einführung einer solchen allgemeinen „Chippflicht“? Die Chipdaten müssen der zuständigen Behörde vom Halter angezeigt werden. „Damit können die Behörden, insbesondere im Falle des Entlaufens oder der Aussetzung eines Hundes, die Person des Halters zuverlässig feststellen. Auch bei eventuellen Beißvorfällen mit Hunden kann anhand der Chipdaten die Person des Halters schnell festgestellt werden“, heißt es dazu aus dem Innenministerium.

„Bisher ist bei uns kein gefährliches Tier gemeldet worden“, berichtet die Pressesprecherin der Stadt Jena, Barbara Glasser, auf Oscar-am-Freitag-Anfrage. Laut Ordnungsamt spielen „Kampfhunde“ bei Vorfällen mit Bissverletzungen seit Jahren überhaupt keine Rolle. Es gab lediglich einen Unfall mit einem Bullterrier – und das seit 2002.

Dennoch, und da sind sich alle Experten einig: „Ein Restrisiko bleibt immer“, egal wie gut der Vierbeiner erzogen wurde und welcher Rasse er angehört! Und dafür müssen nun alle Hundehalter zahlen.

David Ortmann


Beitrag OSCAR-AM-FREITAG, Ausgabe 12

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