Nun geht er nie mehr ins Maxim

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Zum Tode von Johannes Heesters am Heiligabend schreibt Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch in einem Nachruf:

Zwei Männer, ein Titel „Generationen“, der Erfolg schien vorprogrammiert, als im Dezember 2007 die CD mit gleichen Titel erscheint, gesungen von Claus Eisenmann, dem Frontmann der „Söhne Mannheims“ und von Johannes Heesters. Drei Generationen oder genau gesagt 64 Jahre liegen zwischen den Künstlern. Generationen übergreifend waren die Inspirationen, die mich mit ihm verbanden. Es war Heiligabend 2011, die ganze Familie kommt aus der Christnacht in der Kirche nach Hause. Verklungen sind die wunderbaren alten Lieder, die immer wieder gern in diesen Tagen und Stunden gesungen werden. Die Melodie „Kommet ihr Hirten“ summe ich noch auf dem Heimweg in unsere warme Wohnstube, denn statt Schneeflocken, fallen dunkle Regentropfen vom Sternenhimmel. Wenn mich Wilhelm Hey, Gothas großer Lieddichter gefragt hätte „Weißt du wie viele Sternlein stehen, dort am großen Himmelzelt“, ich hätte keine Antwort gewusst, denn nur ein, vielleicht auch zwei Sterne waren am Firmament sichtbar.

Zum Abendessen in Familie versammelt, tritt unser Sohn Romeo in die Küche und spricht zu mir „Mein aufrichtiges Beileid Papa, dein Freund Johannes Heesters ist verstorben!“ Erschrocken denke ich mir, da war er es wohl sein Stern der schon am Himmel stand, als wir nach Hause gingen? Der Hirte eines sehr langen Lebens, der Mann, dem die Frauen bis ins hohe Alter zu Füßen lagen und der Stern am Himmelszelt der Musik eines ganzen Jahrhunderts geht nun nicht mehr ins „Maxim“, duzt nicht mehr alle Damen, nennt sie nie mehr beim Kosenamen und wird auch nicht mehr nach Gotha kommen.

Johannes Heesters und Knut Kreuch, das ist wohl die lebenslange Verneigung vor einem großartigen Jahrhundert-Menschen, denn Heesters war nie der Superstar, schon gar nicht das Supertalent einer schnelllebigen Zeit, er war ein hart-diszipliniert arbeitender Schauspieler und Sänger, immer mit hoher Professionalität bis ins biblische Alter ausgestattet und dem Willem, seinem Publikum sein Bestes zu geben. Das war vor neunzig Jahren so und galt auch im Sommer 2011, als er ein letztes Mal die Bühne betrat.

Ich kannte Johannes Heesters schon  als Kind, denn dank ARD und ZDF war er im Fernsehen ständig präsent, ob in der Peter-Alexander-Show oder bei Heinz Schenk „Zum Blauen Bock“. 1966, wo ich das Licht der Welt erblickte, hätte er keine Patenstelle bei mir übernehmen können, er hatte keine Zeit, er stand wieder einmal mit 63 Jahren, da denkt man heutzutage an den wohlverdienten Ruhestand, in seiner Paraderolle als Graf Danilo an der Volksoper Wien auf der Bühne, und um es mit Franz Lehars Worten zu sagen „den besten Danilo aller Zeiten zu geben“ der je „Der lustigen Witwe“ den Hof machen durfte.

Irgendwie hatte ich schon in jungen Jahren das Bedürfnis diesem Mann zu begegnen und da ich keine Karten bekam für den „Kessel Buntes“, wo er ein einziges Mal in der DDR aufgetreten ist, war mir wenigstens die Schallplatte vergönnt, deren Hülle von fleißigen Händen im VEB Gotha-Druck in Gotha gefertigt worden ist. Damit war klar, der Heesters hat einen Gotha-Bezug, als dann noch eine weitere Idee hinzukam, dass Thüringens größtes Kino einst mit seinem Film „Rosen in Tirol“ eingeweiht worden ist, war mir klar, wer zweimal mit Gotha Verbindung hat, der muss Gotha kennenlernen, denn alle guten Dinge sind drei.

Gesagt getan und so kam das Jahr 1993. Heesters stand kurz vor seinem 90.Geburtstag, ihm zu Ehren gab es eine Gala des ZDFs im Metropoltheater zu Berlin (heute wieder Admiralsplast), wo einst Heesters Karriere in Deutschland begann. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, diese Gala ist gleichzeitig ein schöner Nachruf auf den Jahrhundertkünstler. Doch Heesters sollte allen Planern ein Schnippchen schlagen. Nun kombinierte ich! Wenn Heesters von München nach Berlin reisen muss, da könnte er in Gotha vorbei fahren und wir machen hier die Thüringen-Premiere seines neuen Buches „Ich bin gottseidank nicht mehr jung“. Der Bruckmann Verlag München war begeistert von dieser Idee und bat mich Familie Heesters selbst anzurufen.

Sollte ich wirklich selbst anrufen? Naja, mir blieb nichts anderes übrig. Ich griff zum Telefon, wählte die Nummer, die man mir gegeben hatte und nach wenigen Sekunden erklang am anderen Ende der Leitung eine Stimme „Heesters hier“. Ich war so erschrocken, dass mir der Hörer aus der Hand fiel. Keine Sekretärin dran, kein Management war am Telefon. Nach kurzer Besinnung rief ich wieder an und dieses Mal sprach ich mit ihm selbst. Wir vereinbarten uns zur Buchpremiere in München zu treffen, um den Besuch in Gotha zu besprechen. Am 11.11.1993 war es so weit und ich stand das erste Mal meinem großen Idol persönlich gegenüber. Es war natürlich eine tolle Buchpremiere, umringt von Fernsehkameras und Blitzlichtgewitterfotografen. Diese aufdringlich-vorführende Verhaltensweise der Medien, immer wieder die Kamera drauf zu halten, um den intimsten Moment zu erwischen, ist mir in den folgenden zwei Jahrzehnten bei ihm immer wieder begegnet. Auch wenn alle im Fernsehen Playback singen, hat man bei ihm am meisten darauf geachtet, ob die Lippenbewegungen stimmen und das fantastische war, sie stimmten, auffallend professionell, im Gegensatz zu wesentlich jüngeren Partnern.

Heesters hatte zugesagt mit seiner Frau Simone Rethel nach Gotha zu kommen. Sie fuhr einen flotten Wagen und am Samstag, den 27. 11. 1993 kehrten sie im  Restaurant „Toscana“ in der Pfortenwallgasse ein. Es waren nicht nur eine berauschende Gala im Theatercafe mit dem unverwechselbaren Helmut Münster am Klavier, sondern auch zwei Abende mit Plaudereien im kleinen Kreis, der Aufbau einer ersten Heesters-Ausstellung im Foyer des Gothaer Kulturhauses, die mich dem Künstler und seiner Frau näher brachten und uns immer wieder in den nächsten Jahren zusammen führen sollten.

Unsere Gothaer Ausstellung zeigten wir anschließend auch im Metropoltheater Berlin, wo meine Frau und ich mit der bekannten Schauspielerin Edith Schollwer (1904-2002) im Fahrstuhl standen. Bärbel lacht heute noch über eine Episode mit der Oma aus der Serie „Die Wicherts“, denn im Fahrstuhl allein gelassen, wusste Frau Schollwer gar nicht, wo sie hin muss in dem großen Haus. Wir halfen ihr. So ist es eben, wenn man alte Leute ihrem Schicksal überlässt, wenn der alte Mensch keinen Partner hat.

Egal, was Heesters in den nächsten Jahren machte, wo er im Fernsehen erschien, ich war meistens dabei. Ich konnte lachen über die Witze, die man über ihn verbreitete, ich wusste, dass er selbst darüber lacht. Ich bin ihm begegnet am 24. Mai 1996 in der Komödie „Ein gesegnetes Alter“, die Kurt Flatow für Georg Thomalla schrieb, aber weil dieser verstarb, übernahm der ältere Heesters dessen Rolle, spielte sie in Deutschland und der Schweiz, kam als ältestes aktiver Schauspieler ins Guiness-Buch der Rekorde. Mit meinem Freund Wolfgang fuhr ich damals zur Premiere nach Berlin, gleich hinter dem Hermsdorfer Kreuz standen wir zwei Stunden im Stau, wollten schon aufgeben, doch dann öffnete sich die Autobahn und wir fuhren mit 220-Sachen an den Kurfürstendamm. Wolfgang machte mich glücklich, wir waren bei der Premiere dabei. Einige Jahre später, am 7. März 2002 wollte ich in den „Kirchgarten“ von Tschechow, um den Diner Firs in München zu erleben. Es war zwölf Uhr mittags, meine Frau war erkrankt und konnte nicht mitfahren. So rief ich Ulla an „in zwanzig Minuten bin ich bei dir, wir wollen zu Heesters.“ Klare Ansage, Ulla konnte nicht antworten, ich legte bereits auf. Eine halbe Stunde später waren wir auf der Autobahn. Pünktlich landeten wir in München, erlebten eine wunderbare Premiere und danach eine unterhaltsame Premierenfeier, bevor wir noch in dieser Nacht nach Thüringen zurück fuhren. Zwanzig Stunden unterwegs, nur um Heesters zu sehen. Es war schon verrückt, was man aus Verehrung alles tut.

In München war ich wieder im Herbst 2002 als Heesters Film „Die Fledermaus“ in restaurierter Fassung und  in Farbe Premiere feierte, am Rande dieses Abends war mir ein einziges Gespräch mit Petra Schürmann vergönnt, der ehemaligen  Miss World, die 1945 als ausgebombtes Kind in Wechmar lebte.

Es war wohl im Jahre 2003, in dem wir uns am meisten begegneten, denn ich durfte ihn erleben am 20. März im Gewandhaus Leipzig und am Jahresende in den Bavaria-Studios München zur Jahrhundert-Gala „Johannes Heesters-eine Legende wird 100“. Unvergessen wird mir Joopie Heesters bleiben durch eine Gala die der Wechmarer Heimatverein am 15. September 2003 im Landhaus Studnitz veranstaltete. Ulla, die ihn während dieser Veranstaltung umsorgte, erkannte er am Duft des Getränks und nannte sie ab sofort nur noch mein „Whiskeymädchen“, was sie mit einem verschmitzten Lächeln quittierte. Mit der Ausstellung „Johannes Heesters – Die Schönheit des Alters“ bescherten wir dem Haus den bisher größten Erfolg. Heesters betrat den Saal und rief „Ich freue mich heute in dieser Stadt zu Gast sein zu dürfen“ daraufhin flüsterte der kleine Romeo seinem Opa ins Ohr „Du Opa, Herr Heesters weiß wohl gar nicht, dass er auf dem Dorf ist?“. Doch das wusste er, das tobende Publikum wusste es auch, dem er mit spritzig gesungenen Erfolgstiteln und einer ungeheuren Schlagfertigkeit entgegentrat. Sein letzter Satz ans Publikum war damals „Der Kreuch, der hat eine spitzere Zunge wie der Gottschalk und das ist gut so…“.

Abschied nahm ich von Johannes Heesters auf eine ganz persönliche Art am 5. Dezember 2010. Im Kaisersaal zu Erfurt fanden eine kleine Feier und die große Gala anlässlich seines Geburtstages statt. Er hatte sich bereits seinen größten Wunsch vor Jahren erfüllt als er damals sang „Ich werde 100 Jahre alt“. Mit einem persönlich verfassten Gedicht war ich sein Geburtstagslaudator und gerade, weil er in hundertsieben Jahren so vieles über sich schon gehört hat, war dieses Gedicht auch für ihn eine bisher neuartige, einzigartige Hommage. Darin fand ich folgende Worte:

„Mancher von meinen Zeitgenossen kann es nicht verstehen,

muss der Heesters noch auf der Bühne stehen?

er muss nicht, sage ich dann,

aber wenn er will und wenn er kann,

dann soll er es tun und noch hier vorne stehen,

auch mit 108, 109 oder einhundertzehn.“

Es ist nicht ganz so weit gekommen und was bleibt nun für mich von meinen Begegnungen mit Johannes Heesters? Natürlich erhalte ich weiterhin das kleinste „Johannes Heesters Archiv“ der Welt, mit Fotos und Programmen, Bildern, Büchern, Plakaten und Tonträgern.

Was bleibt noch? Zuerst ist es der liebenswürdige Herr, der noch im hohen Alter den Charme der Jugend versprühte, der Mann im Frack, mit seinem ungebremsten Willen zu Leistung und Erfolg, der zu mir sagte „Knut denke dran, Karriere zu machen, Erfolg zu haben ist ganz leicht, erfolgreich zu bleiben über Jahrzehnte ist ein schwerer Weg und nur durch harte Arbeit und Disziplin zu erreichen“ – seit dieser Zeit meine Lebensmaxime. Heesters erfand sich immer neu, ohne sich dabei selbst untreu zu werden, das fasziniert mich. Er wagte immer wieder Dinge, die vorher undenkbar waren. Ich bin auch davon begeistert, wie er es geschafft hat, durch Arbeit und harte Disziplin fit und leistungsfähig bis ins hohe Alter zu bleiben. „Wer rastet der rostet“ ein Vers, der für ihn, wie für mich immer ein Fremdwort bleiben wird. Ich bin dankbar dafür, dass ich zwei Jahrzehnte lang als stiller Begleiter und großer Fan von ihm, dem unverwechselbaren Johannes Heesters, lernen durfte.

Fotos: Lutz Ebhardt/Ernst Prause

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