Tagesdienst, aktuelle Redakteurin: Livia Zimmermann

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Guten Tag, liebe Leser!

Wie war Ihr Wochenende? Neben Grillen und Fußball dürfte wohl das Krämerbrückenfest in Erfurt das beliebteste Ziel des Wochenendes gewesen sein.

Der Familienrat beschloss am Samstag früh einstimmig, dass wir uns in die Fluten stürzen. Es waren trockene Fluten – Menschenfluten. Wer nicht klaustrophobisch veranlagt ist oder anderweitig zum Wahnsinn neigt, der sollte sich in regelmäßigen Abständen Großveranstaltungen in Erfurt antun: Alle paar Wochen lockt es ganz Thüringen und gefühlt viertel Deutschland in die Landeshauptstadt. Bei großen Konzerten kann man locker eine Stunde mehr an Anreise einkalkulieren. Veranstaltungen in der Innenstadt führen zu einem gigantischen Verkehrschaos. Wenn sich dieses einiges Male wartenderweise aus dem Auto angeschaut hat, wir man schlau, kauft sich eine Gruppentageskarte und hofft auf ein Plätzchen im Schatten in den Randlagen. Gewarnt sei hier vor den ehemaligen Geheimtipps – die freien Parkplätze diverser Einkaufszentren. Wachsame Wächter mit flotter Sohle gehen ihrem Jagdtrieb nach: Parkplatzräubern, die nicht auf der Suche nach REALen Schnäppchen sind, droht der Abschleppwagen! Die Endhaltestellen als Startpunkt für den Sturz in die Menschenfluten zu nutzen, hat den entscheidenden Vorteil eines sicheren Sitzplatzes in der Rumpelkiste auf Schienen.

Kurz vor dem Anger erklingt das Unheil in Form lauter, übersteuerter Musik. Ich frage mich ja immer, wer diese Mugge abspielt. Ich tippe mal auf schwerhörige bis taube Lärmopfer, die die Bässe so hochdrehen, dass sie wenigstens die Vibration der vermeintlichen Wohlklänge durch das Körperinnere jagen spüren. Den Kindern wird noch fix die Handynummer auf Arm oder Bein gekritzelt und eindringlichst eingebleut: „Wenn ihr Mama nicht mehr seht, sucht ihr euch eine andere Mama mit Kind oder einen Polizisten und bittet darum, diese Nummer anzurufen!“ Ich hoffe, dieser Tag wird nie eintreten, aber so fühlt sich die mütterliche Verlustphobikerin glatt besser.

Zwischen Anger und Fischmarkt, immer nach weniger als hundert Schritten, kräht der erste Zwerg „hab Hunger“ und der zweite Wicht „hab Durscht“! Die Wasserpullen und Nothungerkekse liegen natürlich im Kofferraum und so führt der erste Weg in den Supermarkt zum Abfüllen und Abfüttern. Satt und zufrieden … Auf in die Fluten. Bin ich froh, dass ich Söhne hab, Töchter würden jetzt „muss Pipi“ quieken. Im Slalom mit den Zwergen im Arm durch die Massen, an Lock-Mich-Ständen mit Kariesverursachern, gnadenlos überteuerten Lederwaren und gescheiterten Pantomime-Künstlern vorbei, wird jeder Ansatz einer Diskussion darüber, welcher Nippes vom Feinsten dringend notwendig ist, abgewürgt.

Vom Fischmarkt über die Krämerbrücke, an einem Dutzend ausgesprochen cooler Breakdancer vorbei, leiern mir die Wichte ein Eis aus dem Kreuz und wir schauen uns an und denken offensichtlich das Gleiche: Bloß weg hier! Ab in die Erfurter Schienenrumpel und zurück zum Auto.

Mit Bleifuß zieht es uns zurück in den Thüringer Wald. Sechs matte Beine werfen sich in die Hollywoodschaukel, sechs müde Augen genießen den Blick in den grünen, satten Thüringer Wald, sechs Ohren wollen nichts mehr hören und genießen das Schweigen dreier Münder. Ach, ist es schön, wieder in heimischen Gefilden zu sein und das ist im Übrigen auch der Grund, warum wir uns alle paar Wochen in die Menschenfluten stürzen müssen, denn hier stellt man fest, wo das Herz zu Hause ist.

Auf eine sonnige Woche!

Livia Zimmermann