„Es geht um das Gewerbe in Gotha”

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Interview zu 10 Jahren Gewerbeverein Gotha e. V.

Der im April 2012 neu begründete Gewerbeverein Gotha hat seine Tätigkeit mittlerweile unter das Motto „Tradition seit 1822!“ gestellt. Er ist bereits der dritte in einer wechselvollen Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen. Der erste Gewerbeverein existierte länger als ein Jahrhundert, der zweite nur knapp zwei Jahrzehnte und der dritte mittlerweile zehn Jahre. Matthias Wenzel sprach im Vorfeld des 200-jährigen Gründungsjubiläums des alten Gothaer Gewerbevereins mit Maik Schulz und Andreas Dötsch vom jetzigen über Erfolge, Aktivitäten, Wünsche und Pläne für die Zukunft.

Als Sie 2012 den Gewerbeverein Gotha neu gründeten, befand sich der alte Förderverein Gewerbetreibender gerade in Liquidation? Was waren Ihre Beweggründe und Ihr Ansporn?
Maik Schulz: Die Beweggründe sind einfach zu benennen: Aus unserer Sicht war es eine Notwendigkeit, den Gewerbeverein als Ansprechpartner und Interessenvertreter in Gotha neu zu gründen. Ich will über die Vergangenheit gar nicht urteilen, alles hat seine Zeit. Aber es war auch eine Menge Arbeit notwendig, bei allen Gesprächspartnern wieder für Vertrauen und Austausch zu sorgen. Dazu gehörte auch, dass wir die Geschäftsaktivitäten des Vereins in den ersten Jahren mit einer Patronatserklärung absicherten.
Andreas Dötsch: Der Förderverein war eine Institution, in Hochzeiten mit bis zu 160 Mitgliedern. Bei allen Fragen und Belangen, was die Regionalwirtschaft betrat, war er Anlaufstelle, und stets eingebunden. Mit der Liquidation 2011/12 entstand ein Vakuum bezüglich Interessenvertretung. Diese Lücke musste schnell gefüllt werden, ein Händlering e.V., welchen es in der Innenstadt zwischenzeitlich gab, war in seinem thematischen Handeln, sehr beschränkt. Umso dringlicher war der Ausgleich der Lücke, welcher uns am 11.04.2012 in der Gründungsveranstaltung zum Gothaer Gewerbeverein e.V., gelang.

Was wollten Sie besser oder anders machen als der Vorgängerverein?
Maik Schulz: Wir wollten Verlässlichkeit und Kontinuität beweisen, was ohne Zweifel auch gelungen ist. Das Misstrauen ob der Vergangenheit war schon bei vielen Seiten groß, nicht nur bei der Stadtverwaltung. Deren Oberbürgermeister musste sich auch erst wieder daran gewöhnen, dass es einen Verein gab, dessen Vorstand seine Ansichten meinungsstark vertrat. Klar war allen Vorstandsmitgliedern auch, dass alles, was wir veranstalteten, natürlich mit wirtschaftlichem Augenmaß erfolgen sollte – und erfolgt ist. Auch das wurde vielerorts in der Stadt registriert.
Andreas Dötsch: Das Handeln und Wirken des Fördervereins „Von Gotha für Gotha“ e.V. war in den letzten Jahren seiner Aktivitäten um die Finanzierung der Immobilie Löfflerhaus, einst als Handwerkerhof angeschafft, orientiert! Dieser wirtschaftliche Druck, und gestiegene Kosten des Weihnachtsmarkts 2009, sorgten für ein Ende der jahrelangen Ausgestaltung des Weihnachtsmarkts durch den Förderverein. Indem dieses Veranstaltungshighlight und damit viele verbundene Einnahmen wegbrachen, war die Vereinsimmobilie und zum Schluss der Verein, mit seinem Zweck, nicht mehr zu bedienen. Ein engagierter Vorstand und Unterstützung durch die Kreissparkasse Gotha, bewegten letztendlich den Verkauf der Immobilie und in Folge die Vereinsliquidation. Aber es sollte nur zwei Jahre bis zum Neustart dauern!

Haben Sie Ihre gesteckten Ziele erreicht und wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Maik Schulz: Ich denke, dass der Verein – Stand jetzt – seine Ziele erreicht hat. Der Gotha-Gutschein, der Dirk-Kollmar-Innovationspreis, die Wiederbelebung des Löffler-Preises für die besten Azubis, der Jahresempfang sind einige Beispiele dafür. Nicht zu erwähnen die überragende Beratungstätigkeit, die Andreas Dötsch in der Corona-Krise vollzogen hat. Handlungsbedarf besteht nach wie vor darin, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Gewerbeverein Gotha kein Innenstadt-Verein ist. Es geht um das Gewerbe in Gotha und die Einbeziehung der Firmen in den Gewerbegebieten – und da sind wir nicht so weit gekommen, wie wir uns das gewünscht haben. Aber auch hier denke ich: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Worauf in Ihrer zehnjährigen Tätigkeit sind Sie besonders stolz?
Maik Schulz: Dieser Verein geht seinen ganz eigenen Weg und kommt zu guten Ergebnissen – und darauf bin ich stolz. Danke an alle, die daran mitgewirkt haben.
Andreas Dötsch: Das Miteinander. Wir haben es geschafft, das Miteinander mit Verwaltung und Kommunalpolitik zu intensivieren. Trotz naturgemäßen antagonistischen Uransichten wurden die gegenseitigen Sinne und Bedarfe geschärft und gemeinsame Projekte angestoßen. Für mich persönlich ist das Öffnen der Vereinsmitgliedschaft in den Landkreis besonders wichtig. Der Zusammenhalt und der Schulterschluss in der Pandemie waren ebenso bezeichnend.

Wie haben Sie auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie samt Lockdown reagiert?
Andreas Dötsch: Mit dem ersten Lockdown ist auch die Geschäftsstelle des Gewerbevereins in das Homeoffice gezogen. Während der Pandemie haben wir mit über 230 Newslettern zu Soforthilfepaketen und Überbrückungsgeldern informiert! Der Gewerbeverein unterstützte mit der Organisation von Masken und half bei der Verteilung. Bei über 200 Soforthilfeanträgen standen wir helfend zur Seite. Wir organisierten virtuelle Stammtische via Zoom, WebEx und anderen Digital-Tools, welche Viele bis zu dem Zeitpunkt gar nicht kannten. Mit Aktionen wie „Wir machen AUF_merksam“ oder „Wir sterben in Verbindung mit Webseiten, Social Media und Brandbriefen das Bundeswirtschaftsministerium, den Freistaat Thüringen und das Thüringer Wirtschaftsministerium, machten wir auf die existenzbedrohenden Einschränkungen für Gewerbe wir Handel, Dienstleistung, Hotellerie und Gastronomie, Reise- und Tourismusgewerbe und Kulturschaffende, aufmerksam.
Unter unserer Federführung und Unterstützung der Gewerbevereine Eisenach und Waltershausen (insgesamt 245 Mitgliedsunternehmen) starteten wir ein Normenkontrollverfahren gegen die 2G-Regelung im Einzelhandel und forderten 3G für alle. Als Chef des Gothaer Gewerbevereins habe ich stellvertretend einen Eilantrag auf ein sogenanntes Normenkontrollverfahren eingereicht. Wir erkämpften mit Unterstützung regionaler Bundespolitiker eine Veränderung der saisonalen Teilwertabschreibung auf nicht verkäufliche Saisonware, welche in erster Fassung nur Bilanzierer berücksichtigte. Nach ersten Lockerungen organisierten wir Wirtschaftsbesuche mit Vertretern der Bundes- und Landespolitik und halfen der lokalen Wirtschaft durch Netzwerken wieder auf die Beine.
Maik Schulz: Der größte Coup war der Gotha Gutschein. Er ist eines der gewaltigsten Projekte, welche der Gewerbeverein in fester Partnerschaft mit Stadtverwaltung Gotha und KulTourStadt Gotha GmbH am 16.10.2020 startete. Die vom Eisenacher Gewerbeverein übernommene und eingekaufte Idee um eine Regionalwährung, welche den steuerfreien Sachbezug von heute 50 Euro pro Monat zugrunde hat, wird seither in Gotha gelebt. Als Kooperation und mit einem Sponsoring durch Stadtwerke Gotha GmbH und VR Bank Westthüringen eG, verfügt der Gotha Gutschein heute über 106 Annahmestellen aus Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistung im Landkreis. Über 17.053 Gutscheine wurden bisher in über 50 Städte verkauft und somit 184.614,70 Euro an die Region gebunden! Aber hier muss ich klar sagen: Ohne dem Engagement des aktuellen Vorstandes – und eben insbesondere dem von Andreas Dötsch – wäre das so nicht möglich gewesen.
Andreas Dötsch: Fest steht, dass unsere stetige Bereitschaft zur Hilfe während der Pandemie zu einem Mitgliederschub von fast 30 % Zulauf führte.

Sehen Sie eine Zukunft für den klassischen Einzelhandel und was setzen Sie dem Internethandel entgegen?
Andreas Dötsch: Der klassische Einzelhandel in Innenstädten wie in Gotha empfindet das Internet oftmals als Konkurrenz und Bedrohung. Klar ist, dass in kleinen und mittleren Städten die Verödung der Kaufzonen begonnen hat. Aus unserer Sicht ist Gotha hier bisher noch relativ gut aufgestellt. Denn das Web kann – mit der richtigen Strategie – auch eine Bereicherung sein. „Multi-Channel-Marketing“ heißt das Zauberwort, also die Strategie, den Kunden auf verschiedenen Kommunikationskanälen anzusprechen. Im Zentrum steht dabei für den lokalen Einzelhändler der Wunsch der Kunden, möglichst einfach und bequem einzukaufen. Von überall und jederzeit.
Das Offlinewachstum stagniert. Trotzdem: Auf das Geschäft vor Ort wollen viele Käufer eben noch nicht verzichten! Service, Beratung und Qualität. Das alles kann das Internet nicht bieten. Und wir denken, dass dies die Karte ist, auf welche der Einzelhandel auch in Zeiten von E-Commerce setzen muss. Und das sagen wir unseren Kollegen und Mitgliedern, die das Internet als Bedrohung sehen. Zusammen mit der Stadtverwaltung, den Stadträten und dem Citymanagement versuchen wir mit den verschiedensten Maßnahmen der Attraktivität und Verweildauer in Gothas City zu erhöhen, um diese auch weiterhin für die Kunden besser aufzustellen.
Unter anderem dafür haben wir am 29.10.2020 die gemeinsame Absichtserklärung zur „Umsetzung des Handlungsleitfadens zur Belebung der Innenstadt von Gotha“ zwischen Oberbürgermeister Knut Kreuch und dem Gewerbevereinsvorsitzenden unterzeichnet. Die Zukunft der Innenstädte ist die Zukunft flexibler, kundenorientierter, spezialisierter Handelsstrukturen mit Event- und Verweilcharakter, sowie der Gastronomie. Die City der Zukunft hat Verweilcharakter, verknüpft Handel mit Kultur und ist Begegnungsstätte!

Wie stehen Sie zu dem von Ihnen mitgetragenen Konzept einer verkehrsberuhigten Innenstadt?
Maik Schulz: Ob dieses Konzept greift, wird sich noch erweisen müssen. Aber eins ist dennoch deutlich: Für die Gastronomie in der Innenstadt hat diese Veränderung einen positiven Zugewinn gebracht. Der hält natürlich „nur“ so lange, solange das Wetter mitspielt.
Andreas Dötsch: Das verkehrsberuhigte Konzept birgt mehr Chancen als Risiken. Wie schon beantwortet, Innenstädte der Zukunft bieten Verweilcharakter, verknüpfen Handel mit Kultur und sind Begegnungsstätte. Ohne die Pandemie hätten wir für den notwendigen Wandel noch Zeit gehabt, der Trend zeichnete sich aber schon länger ab. Die pandemiebedingte Digitalisierung im Handel, das Schwinden der Kontaktangst mit dem Internet, seitens der Kunden, tragen den Rest dazu bei. Der eingeschlagene Weg ist ein mutiges Wagnis, orientiert sich aber vorausschauend am Trend.

Wenn Sie drei Wünsche für die Zukunft frei hätten, wie würden diese lauten?
Andreas Dötsch: Ein weiteres Wachstum der Mitgliedsunternehmen mit Schulterschluss, zugunsten einer starken Regionalwirtschaft. Mehr Flexibilität, mehr Markt, weniger Bürokratie.

Im Vereinsvorstand steht ein Generationswechsel an. Was geben Sie dem neuen Vorstand mit auf den Weg?
Maik Schulz: So einfach das klingt, es ist nie so einfach: Dran bleiben, auch wenn es schwierig wird!
Andreas Dötsch: Den Blick immer nach vorn, immer die Hand am Puls der lokalen Wirtschaft und den Mut, weit in den Landkreis hinein zu skalieren.

Worauf dürfen sich die Gothaer und ihre Gäste als nächstes freuen?
Andreas Dötsch: Am 7. Oktober 2022 feiern wir die 200-jährige Gewerbevereinstradition in Gotha, anlässlich des Jahresempfangs des Gewerbevereins Gotha. Ach, natürlich auch die 58. EUROPEADE vom 12. bis 17. Juli 2023, wenn ca. 5000 Europäer den Weg nach Gotha suchen, um an diesen fünf Tagen mit ihren traditionellen Trachten und ihrer jeweiligen regionalen Volksmusik, bei Tanz- und Gesangsauftritten, Einheit und Vielfalt aufzuzeigen.

Danke für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.

Das Interview wurde von Matthias Wenzel durchgeführt.

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