„Mein Freund der Baum ist tot“*

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40.000 ha Wald drohen 2019 in Thüringen zu verschwinden. 40.000 ha – eine Fläche, halb so groß wieder der Landkreis Gotha. Nicht Rodungen, noch Flächenbrände tragen Schuld am Verlust eines solch großen Teils unserer „grünen Lunge“. Es ist die Folge des zweiten, extrem trockenen Sommers. Der hat v. a. Fichten im wahrsten Sinn des Wortes den Lebenssaft entzogen. Von denen haben wir in Thüringen mehr als genug: Sie bilden rund 40 % des Gesamtbestandes. Fehlt eben jenen Fichten Wasser, wachsen sie nicht mehr. Sie können dann aber auch nicht ihren ärgsten Feind, den Borkenkäfer oder „Buchdrucker“ bekämpfen. Stehen sie auf dem Trockenen, können sie kein Harz bilden, das den Schädling sonst k.o. schlägt.

Ein Augusttag. Der warme Südwind streicht durchs Tal zwischen Röhnberg und der Burg Gleichen. Von der nahen Autobahn kommt ein kaum vernehmbares, anhaltendes Rauschen. Selten fährt ein Auto die Verbindungsstraße zwischen Mühlberg und Wandersleben entlang. Darüber, in der Himmelsbläue, trällert der eine oder andere Piepmatz fröhlich sein Liedchen.

Auf der Wiese vis-a-vis vom „Freudenthal“ steht Dr. Gerhard Struck. Der Leiter des Forstamtes Finsterbergen ist nicht ganz so frohgemut. Verständlich, weil selbst hier, im scheinbaren Naturidyll inmitten des sattgrünen Blätterdachs am südöstlichen Hang des Röhnbergs eine braune Fläche vom Unheil kündet. Es ist eine Fichten-„Kolonie“ in dem ansonsten fast reinen Laubwald mit Eichen, Buchen und Bergahorn, die genau jenes Schicksal ereilte: Beim Verdursten vom Borkenkäfer erobert und erledigt worden.

„Kein Wald-, ein Baumsterben“
„Ich würde dennoch nicht vom Waldsterben sprechen. Ich nenne es lieber Baumsterben.“ Struck legt Wert auf diesen Unterschied. Er beurteilt die aktuelle Situation auch im Landkreis Gotha als ernst, aber nicht als aussichtlos. „Deshalb nicht, weil wir schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert den Wald ,umbauen‘, naturnah bewirtschaften. Nicht mehr großflächig abholzen und dann wiederaufforsten.“ Waldwirtschaft im 21. Jahrhundert gehe anders.

Und die betreibe man eben nicht nur im Staatswald, der rund 40 % der Fläche Thüringens ausmacht, sondern auch im Wald, der privaten Besitzern gehört (40 %), Kommunen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts (17 %) und 3 % ist Treuhandwald, der privatisiert wird. Insgesamt gibt es rund 180.000 Waldeigentümer in Thüringen.

Rund 93.500 ha Wald haben wir im Landkreis Gotha. Das sind rund 1/3 dessen Gesamtfläche. „Damit spiegeln wir die Thüringer Verhältnisse“, sagt Struck. Im Freistaat sind das demnach 550.000 ha, auf denen rund 330 Mio. Bäume stehen, wie Statistiken des „ThüringenForst“ dokumentieren. Davon sind 62 % Nadel- und 38 % Laubbäume. Aktuell ist die Fichte immer noch mit 38,4 % Baumartenanteil mit großem Abstand die häufigste Baumart in Thüringen. Ihr folgt die Rot-Buche mit 19,8 %.

Thüringen – Land der Buchenwälder?
Eigentlich wäre Thüringen ein Land der Buchenwälder geblieben, hätte der Mensch nicht eingegriffen. Geologie, Böden und vor allem ein Klima, das die Buchen lieben, hätten ohne diesen Einfluss Wälder zur Folge gehabt, die von Buchen dominiert würden.

Wie kam es aber nun zur Fichten-Monokultur? Die gibt es nicht nur in Thüringen. Auch im Bayrischen Wald, erst recht im Harz ist die Fichte die Nr. 1. Die Erklärung ist simpel: Schon sehr früh wurde Wald genutzt. Zunächst, um Bau- und Brennholz zu gewinnen, zur Herstellung von Holzkohle oder um Asche für Glasmacher etc. erzeugen zu können. Nicht zu vergessen, um Futter und Streu für die Tiere zu bekommen. Von Nutzen war er aber auch als sogenannter Hutewald – als Weidewald.

Nun wachsen Fichten viel schneller als andere Baumarten und sind anspruchsloser im Anbau. In Zeiten von Not an Brenn- und Baumaterial wie nicht nur nach dem letzten, dem Zweiten Weltkrieg, schlug daher die Stunde der Fichte.

Diese historische Altlast geht man seit der politischen Wende 1989, mit Übergang zu einer naturnahen Waldwirtschaft, an. 1993 waren in Thüringen fast 47 % aller Bäume Fichten; fast 10 % mehr als heute.

Holz, das keiner haben will
Jetzt haben wir den Sommer 2019. Wie schon im Vorjahr dürstet alles nach Regen, auch der Wald. „Die Trockenheit 2018 war deutlich schlimmer als die in diesem Jahr“, erklärt Struck. 20.000 Festmeter Schadholz hatte man danach aus den Wäldern holen müssen.

Die Spätfolgen der vorjährigen Trockenheit wären aber, „als ob jemand einen Schalter umgelegt“ habe. Selbst in den Mischwäldern, in denen z. B. Eiche oder Tanne Durststrecken besser überstünden, seien die Schäden immens.

60.000 Festmeter Schadholz erwarte man daher im Forstamt Finsterbergen in diesem Jahr. „Und das, obwohl wir nicht einmal das Holz aus dem Vorjahr komplett verkauft haben“, sagt Alex Hopf. Er ist Revierförster und betreut die Forstbetriebsgemeinschaft (FBG) „Totenkopf–Vitzerod“. Mit dem Finsterberger Forstamt hat die FBG einen Beförsterungsvertrag – wie nahezu alle anderen Waldbesitzer auch.

Die FBG arbeitet südlich Georgenthals auf rund 1.000 ha Wald, die den Gemeinden Günthersleben-Wechmar, Schwabhausen und Ermstädt (heute Ortsteil von Erfurt) gehören. Der war vor langer Zeit wohl Allmende, also gemeinschaftliches Eigentum. Dazu kommen viele Hunderte Waldbesitzer, die ihre meist kleinen Parzellen ebenfalls durch die FBG bewirtschaften lassen. Selbst als Filmkulisse dienten diese 1.000 ha mehrfach. Szenen für „Sushi in Suhl“, „Hänsel und Gretel“ und einen Film über die Alpenüberquerung Hannibals wurden hier gedreht, Elefanten inklusive.

Haupterwerb ist und bleibt aber die Holzproduktion, v. a. für die einheimische Säge- und Papierindustrie. Und genau die macht derzeit Sorgen: Der Holzpreis ist im Keller wegen des Überangebots. Zudem scheue sich die einheimische Industrie, Holz aus Borkenkäferbefall zu nutzen. „Kann ich nicht verstehen“, grummelt Förster Hopf. „Der Buchdrucker geht nur unter die Rinde, bevorzugt das Kambium, die Wachstumsschicht.“ Dort findet stetig Zellteilung statt. Neue Zellen werden nach innen und nach außen abgeschoben – es entsteht zum einen Rinde, auch als Bast bezeichnet. Die nach innen abgeschobenen Zellen sind dann das eigentliche Holz. „Und das bliebt unbeeinflusst.“

Nicht nur in Hopfs Revier hat der Käfer ganze Arbeit geleistet. Allerdings sieht das der Laie nicht, „denn die rot vertrockneten Fichten, die wir zuweilen stehen lassen, sind frei von Käfern, weil die ausgeflogen sind“. Akute Infektionsherde hingegen müssen aus dem Wald geschafft werden, bevor die nächste Generation ausschwärmt. Das passiert nach 5 – 10 Wochen, je nach Witterung. Die befallenden Fichten zu finden und aufzuarbeiten, ist aber sehr aufwändig und setzt einiges an Fachwissen voraus. Deshalb sind nun ehemalige Forstarbeiter wieder im Dienst. Allein fünf Forstschutzhelfer hat das Forstamt Finsterbergen eingestellt.

Die geschädigten Bäume müssen demnach schnell aus dem Bestand. Deshalb trägt man sich nun sogar mit dem Gedanken, dass die Bundeswehr dabei helfen soll. Ist das Holz nämlich weit entfernt von Fichtenbeständen aufgestapelt, auf Poltern, kann es zusätzlich mit einer „chemischen Keule“ behandelt werden.

Land will „Masterplan 2030“
Forstministerin Birgit Keller (Die Linke) legte Anfang August einen „Masterplan 2030“ zur Rettung des Waldes vor. Der soll die aktuelle Debatte versachlichen und helfen, dass man „in logischen Schritten gegen die Waldschäden“ vorgehen kann, wie es in einer Pressemitteilung hieß.

Beantwortet werden sollen zunächst Fragen, was der „Wald der Zukunft“ sein und ob er z. B. eher Rohstofflieferant oder der Klimaretter sein soll. Man gehe davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren 200 Mio. neue, weniger unter klimatischen Schwankungen leidende („klimaresiliente“) Bäume zu pflanzen seien, wird Keller zitiert.

Was das Ganze allerdings kostet, steht noch nicht fest. Weil aber nicht nur Thüringen betroffen ist, wolle man den Bund mit in die Pflicht nehmen. Als mittelfristige Hilfe stellte vorab Ministerpräsident Bodo Ramelow jeweils 50 Millionen Euro pro Jahr für dieses Aufforstungsprogramm in Aussicht.

*Ein Chanson, den Alexandra 1968 sang.

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