Was es mit „indonesischen Schädeln“ auf sich hat

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Der Schweizer Ethnologe Adrian Linder im Staatsarchiv Gotha. Foto: Claudia Klein

Berlin, Gotha, Osogna (Schweiz), Palangka Raya (Indonesien), (red/PM, 12. November). Kurz vor dem Projektstart hat die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha das Forschungsvorhaben „Provenienz und Geschichte der Sammlung indonesischer Schädel“ und die beteiligten Partner vorgestellt.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg (DZK) hatte das eineinhalbjährige Vorhaben am 22. Oktober bewilligt. Stiftungsdirektor Dr. Tobias Pfeifer-Helke freut sich: „Ich bin sehr froh über die Förderung des DZK. Sie macht deutlich, wie wichtig der Museumsstandort Friedenstein ist. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dem Institut für Dayakforschung-21 in Palangka Raya.“

In einer Vdeo-Konferenz mit Partnern und Medienvertretern betont er, wie wichtig es für das multiperspektivische Projekt sei, dass auch die Akteure aus Indonesien mit an Bord seien und nach Gotha kämen.

Beschriftung auf dem Sockel eines Schädels aus Banjarmasin. Foto: Claudia Klein

Das Vorhaben ist ambitioniert, hat es doch ganz unterschiedliche Hürden zu überwinden und Verbindungen über große Entfernungen zu knüpfen: fremde Kulturen, andere Zeiten, verschiedene Kontinente. Forschungsgegenstand sind mindestens 24 menschliche Schädel, die zwischen 1864 und 1880 in die Gothaer Sammlung gelangten und aus dem heutigen Indonesien stammen. Mit großer Wahrscheinlichkeit kommt ein Teil der Schädel aus Banjarmasin, das auf der Insel Borneo liegt. Sie stehen im Zusammenhang mit dem blutigen antikolonialen Banjar-Krieg (1859 – 1864).

Per Video-Schalte berichtet Dr. Marko Mahin, Kooperationspartner aus Indonesien und Leiter des erwähnten Instituts für Dayakforschung-21 in Palangka Raya, dass das Thema und die damalige Zeit auch jetzt noch im Bewusstsein der Bevölkerung in Südkalimatan (Borneo) verankert sind: „Noch heute weisen die Bewohner der Dörfer auf Einschusslöcher in den Bäumen hin, in ihrem Besitz befinden sich Kugeln der Holländer“, sagt der Anthropologe Mahin.

Er hat mit seinen Kollegen bereits über dieses Kapitel der Kolonialgeschichte gearbeitet und berichtet über den misslungenen Versuch, den Schädel des in Indonesien legendären Kriegers Demang Lehman zurückzuholen. Noch immer befinde er sich in einer anthropologischen Sammlung in Leiden/Niederlande. „Wir würden es gerne sehen, wenn die Schädel zurückkehrten, da der Totenkult hier eine wichtige Rolle spielt“, sagt Mahin.

Doch bevor es überhaupt um Rückführung oder gar Beerdigung gehen kann, stehen Aufklärung und Forschung im Fokus. Von wem stammen die Schädel? Das ist eine der Forschungsfragen. Wie und durch wen kamen sie nach Gotha? Und welche Art der Rekontextualisierung haben sie in der Sammlung erfahren?

Darum wird es in dem vom DZK geförderten Projekt gehen, für das sich die Stiftung externe Expertise ins Boot geholt hat: Eine der Schlüsselpersonen ist der Schweizer Ethnologe Adrian Linder, assoziierter Forscher am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern. Er fungiert als wichtiges Bindeglied und vermittelt als Kenner Indonesiens zwischen den Kulturen. In akribischer Archivarbeit nicht nur in Gotha, sondern auch in weiteren deutschen und niederländischen Museen, mittels Ergebnissen aus osteoanthropologischen Analysen und der Erforschung der „Oral History“ vor Ort in Indonesien möchte er der Geschichte der Schädel und den Motiven der Beteiligten auf den Grund gehen. Über die Ergebnisse seiner Vorrecherchen sagt Linder: „Schon jetzt zeichnet sich aus den bisher betrachteten Quellen eine bittere Ironie der Geschichte ab: Die Kolonialmacht, die als zwei ethische Hauptziele ihrer Mission die Abschaffung der Kopfjagd und der Sklaverei auf ihre Fahnen geschrieben hatte, hat im Effekt beide Missstände gefördert, selber praktiziert und teilweise ‚perfektioniert‘.“

Wie unerlässlich gerade bei derartig sensiblen Themen eine offene und transparente Kommunikation ist, weiß die Museumspädagogin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Claudia Klein. Sie unterstützt das Projektteam bei der Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit und hilft bei der Kontextualisierung der wissenschaftlichen Arbeit: „Wir wenden uns dabei nicht nur an ein Fachpublikum, sondern möchten eine breite Öffentlichkeit auf dieses Thema aufmerksam machen.“ Dabei steht Klein vor einer besonderen Herausforderung: „Aus ethischen Gründen werden wir die Schädel nicht zeigen. Das ist für Museumsleute und Ausstellungsmacher ganz und gar ungewöhnlich. Denn eigentlich lebt Museum vom Ausstellen. Da müssen wir neue Wege finden.“ Das Team wird sie sicherlich finden, Anfang Dezember geht es los.

 

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