Fulminante Entwicklung und eklatante Nöte …

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Über die Situation an den Theatern äußern sich Mathias Baier und Uta Homburg vom THÜRINGER AMATEUR THEATER VERBAND mit einem Positionspapier, das wir wie folgt zitieren:

Sehr geehrte Damen und Herren,

 es scheinen ein Paradoxon und ein seit Jahren unauflösbarer Widerspruch, was sich in der aktuellen statistischen Erhebung der Amateurtheater und Freien Theater in Thüringen manifestiert. Einerseits scheint das Entwicklungspotential dieser Theater-szene unerschöpflich, andererseits offenbaren sich Abgründe in der Ausstattung, finanziellen Situation und öffentlichen Anerkennung dieser Kultureinrichtungen.


Doch worum geht es?

Der Thüringer AmateurTheaterverband e.V. und die LAG Spiel und Theater in Thüringen e.V. haben als Fachverbände der Freien Theaterszene in Thüringen eine gemeinsame Evaluation ihrer Mitgliedsbühnen und -einrichtungen durchgeführt. An dieser Erfassung haben sich 19 von 22 Mitgliedseinrichtungen beteiligt, womit wir eine deutliche Reprä-sentation dieser Theater- und Kulturszene erreichen konnten. (Wen wir hierbei im Einzelnen repräsentieren, entnehmen Sie bitte der 1. Seite der beigefügten Statistik.)

Es sei an dieser Stelle deutlich gemacht, dass es sich bei den Thüringer Amateur-theatern und freien Ensembles i.d.R. um fachlich professionell geleitete Kulturein-richtungen handelt, die künstlerische Arbeit leisten und somit die kulturelle Landschaft stetig bereichern, jedoch gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Teilhabe und Bildung von Kindern und Jugendlichen leisten.

 Die Ergebnisse der erfolgten Evaluation und die konkrete Situation in diesen Ensembles und Kultureinrichtungen geben uns den zwingenden Anlass zum Handeln.

 Was sind die hellen, die positiven Seiten in diesen Ensembles?


1.     Es wurden 2010 etwa 1275 Aufführungen und Veranstaltungen für etwa 89.450 Gäste geboten. Dies entspricht einem Zuwachs bei Veranstaltungen von 19% und bei den Besuchern von 11% von 2008 zu 2010.

2.     Es wurden 160 Projekte zur aktiven kulturellen Teilhabe und Mitwirkung mit 2900 Nutzer durchgeführt.

3.     Darüber hinaus wurden 58 wöchentliche Angebote und Kurse zur kulturellen und künstlerischen Bildung geschaffen, welche wöchentlich von über 600 Kindern und Jugendlichen genutzt wurden.

4.     Die Zahl der Nutzer dieser aktiven Angebote ist zwischen 2008 und 2010 um etwa 13% gestiegen.

5.     Die Zahl der organisierten Mitglieder in diesen Ensembles und Einrichtungen beträgt 1150. Dies entspricht einem Mitgliederzuwachs von 26% von 2008 zu 2010.

6.     Die Zahl der darüber hinaus ehrenamtlichen Aktiven in diesen Einrichtungen beträgt ca. 750. Dies entspricht einem Zuwachs von 11% von 2008 zu 2010.

7.     Insgesamt werden in diesen Einrichtungen etwa 270.000 Ehrenamtsstunden geleistet. Dies entspricht, so paradox es klingen mag, über 30 Jahren ehrenamtlicher Arbeit in einem Jahr. Will ein Arbeitnehmer diese Zeit in einer 40 Stunden-Arbeitswoche bewältigen, bräuchte er hierzu etwa 130 Jahre!

8.     In unseren Einrichtungen werden 12 Freiwillige im kulturellen Jahr beschäftigt, gefordert und gebildet.

9.     26% des Erforderlichen Etats dieser Kultureinrichtungen werden aus Eigenmitteln geschöpft (Einnahmen aus Veranstaltungen, Beiträge)


Was sind die dunklen, die negativen Seiten in unseren Einrichtungen?

10.  Insgesamt stehen diesen Ensembles und Kultureinrichtungen nur 37 hauptamtliche Mitarbeiter zur Verfügung.

11.  Das Nettogehalt eines Durchschnittsmitarbeiters beträgt ca. 1600,- € Brutto. (für qualifiziertes Fachpersonal u.a Theaterpädagogen, Kulturwissenschaftler, Kulturmanager, …)

12.  Die notwendige Förderung durch Kommunen und das Land Thüringen sind stagnierend bzw. rückläufig.

13.  Es besteht ein massiver Personalmangel in den Einrichtungen auf Grund von fehlenden Finanzierungen.

14.  Es werden Selbstausbeutung und schleichender BurnOut von Personal und auch ehrenamtlich Aktiven proklamiert.

15.  Es besteht eine alles beherrschende Planungsunsicherheit auf Grund von i.d.R. ausschließlich jährlicher Förderung.


Was sagen diese Ergebnisse und Situationen?

 Alle Einrichtungen bestätigen uns, dass sie entgegen aller demografischen Tendenzen auf allen Ebenen ihres Wirkens ein kontinuierliches Wachstum zu verzeichnen haben.

Es gibt mehr Veranstaltungen, mehr Besucher und mehr Nutzer der Angebote.

(64% der Nutzergruppen der aktiven Angebote liegen im Alter von 3 bis 21 Jahren!)

 Ebenso bestätigen Sie, dass sie das Quantum ihrer personellen Leistungsfähigkeit längst und weit überschritten haben und das bestehende Angebotsspektrum nur durch das Herzblut der Mitarbeiter und Aktiven (oder anders ausgedrückt, durch massive Selbstausbeutung) aufrecht gehalten wird. Bestehende weitere Wachstumstendenzen und Angebotsnachfragen können nicht mehr bedient werden.

Die Wirtschaftlichkeit in den Einrichtungen und die Eigenmittelerwirtschaftung sind herausragend, jedoch zwangsläufig auf Grund einer jahrelangen Unterfinanzierung. Sie geht auf Kosten von einer fachlich angemessenen Entlohnung, auf Verschleiß in der technischen Ausstattung und ist nur durch einen permanenten low budget – Sparhaushalt erreichbar.

Alle Einrichtungen sehen alljährlich durch verspätete Haushaltsbeschlüsse in Land und Kommunen ihre Existenz bedroht. Zuwendungen erfolgen i.d.R. ausschließlich für ein Jahr, sowohl für Personal, wie auch für Projekte. Eine Förderung der bestehenden institutionellen Kosten dieser Kultureinrichtungen und Theaterpädagogischen Zentren erfolgt max. durch die Kommunen. Vielfach werden sie jedoch mit diesen Kosten allein gelassen.

Der Gesamtetat der 22 Mitgliedsbühnen, Kinder- und Jugendtheaterensembles, Freilichttheatern, freien Gruppen und Kulturzentren beträgt unter 1,5 Mio. €.


Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus?

Es wäre zu wünschen, dass die immer wieder notwendige Selbsterklärung unserer Gruppen und Ensembles sich erübrigen könnte. Es ist leider noch immer in der öffentlichen Wahrnehmung die Leistungsfähigkeit und insbesondere das kulturelle und künstlerische Engagement unserer Mitgliedsbühnen und –gruppen für und mit Kindern und Jugendlichen nur eine Fußnote der kulturellen Vielfalt und öffentlichen Berichterstattung.

Entfristungen bzw. eine mittelfristige Planungssicherheit durch verbindliche Vereinbarungen in Kommunen und im Land Thüringen sollten die permanente Ungewissheit in der Existenz der Einrichtungen beenden. Finanzierungen sollten mind. für 3 Jahre für bestehende und neue Personalprogramme und für Spielstätten auch durch das Land Thüringen ermöglicht werden.

Eine Steigerung der Finanzierung unserer Einrichtungen um 1/3 des bestehenden Gesamtetats würde eine seit Jahren überfällige solide Ausstattung und nachhaltige Entwicklung unserer Bühnen  ermöglichen und lege letztlich nur im Promillebereich z.B. im Vergleich zum Thüringer Landeshaushalt.

Publiziert am 4. Juni 2011, 14.43 Uhr