Streitbarer Pfarrer im Nationalsozialismus

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Jena (FSU/AB) Ludwig Steil (1900-1945) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der westfälischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Der streitbare Pfarrer hat einen umfangreichen Nachlass vor allem zur Bekennenden Kirche hinterlassen.

Dieser Privatnachlass wird vom Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Universität Jena gemeinsam mit dem Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen erschlossen und wissenschaftlich aufgearbeitet. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird von der Evangelischen Kirche von Westfalen finanziell gefördert. Im Ergebnis sollen ein archivalisches Findbuch und eine wissenschaftliche Publikation über Ludwig Steil erscheinen. Außerdem sind eine wissenschaftliche Tagung sowie eine Ausstellung zu dem wortgewaltigen Pfarrer geplant, der 1945 als Mitglied der Bekennenden Kirche im KZ Dachau ums Leben kam.

1900 in Lüttringhausen bei Remscheid geboren, wirkte Steil seit 1929 als Gemeindepfarrer in Holsterhausen (Wanne-Eickel). Er trat 1933 in die Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen ein, formulierte zu Pfingsten 1933 mit dem jüdischstämmigen Pfarrer Hans Ehrenberg in Bochum das bekannte „Wort und Bekenntnis westfälischer Pastoren zur Stunde der Kirche und des Volkes“ und avancierte zum wortmächtigsten Gestalter der sich formierenden Bekennenden Kirche in Westfalen. Die Wahl Steils zum Superintendenten des jungen Kirchenkreises Herne wurde 1933 durch die Deutschen Christen vereitelt. Als Mitglied des westfälischen Bruderrates wirkte er auf Reichsebene u. a. an allen vier Reichsbekenntnissynoden mit – in Barmen 1934 gestaltete er z. B. aktiv die „Erklärung zur praktischen Arbeit der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche“.

„Als Seelsorger und Theologe suchte er durch volksmissionarische Vorträge, welche ihn bis nach Königsberg führten, die durch den Zweiten Weltkrieg betroffenen Menschen zu stärken“, erläutert der Jenaer Kirchenhistoriker Prof. Dr. Christopher Spehr und ergänzt: „Im Anschluss an eine Vortragsreihe in Herne, in der Steil die Haltung des NS-Regimes zur Euthanasie kritisierte, wurde er im September 1944 verhaftet und nach Gefängnisaufenthalten in Dortmund und Herne am 5. Dezember in das KZ Dachau deportiert. Dort verstarb der erkrankte Gemeindepfarrer am 17. Januar 1945.“

Nach dem Krieg wurde Steil zum „Märtyrer der Bekennenden Kirche“ erhoben und wird bis heute als einziger Westfale auf dieser Liste geführt. Der 18. Januar gilt heute als kirchlicher Gedenktag an den westfälischen Pfarrer und wird jährlich z. B. im Pfarramtskalender aufgeführt.

Zur Erinnerung an ihn wurde Ludwig Steil nach dem Krieg zum Namensgeber verschiedener kirchlicher Einrichtungen in Westfalen und im Rheinland: So wurde nach ihm u. a. der Ludwig-Steil Hof in Espelkamp (seit 1948) und ein Sozialtherapeutisches Wohnhaus in Dortmund (seit 1999) benannt. Außerdem tragen mehrere Straßen sowie ein Platz in Remscheid-Lüttringhausen seinen Namen.

„Nicht nur für die Evangelische Kirche von Westfalen, sondern auch für die Evangelische Kirche in Deutschland hat Ludwig Steil als Prediger, Seelsorger, Bekenner und Mensch der Tat eine herausragende Bedeutung“, unterstreicht Archivleiter Dr. Jens Murken, der gemeinsam mit Prof. Spehr das Forschungsprojekt leitet. „Steils Nachlass eröffnet neue Einblicke in die Entstehungsgeschichte der Bekennenden Kirche, in die Zeit der ideologischen Auseinandersetzungen mit dem NS-Staat sowie in theologische Deutungen des Zweiten Weltkrieges“, sagt Christopher Spehr. „Die kirchliche Zeitgeschichtsforschung wird durch dieses Projekt um die Erschließung einer widerständigen Persönlichkeit bereichert.“
Foto: Der Direktor des Landeskirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche von Westfalen Dr. Jens Murken (l.) und Prof. Dr. Christopher Spehr von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena sichten den Privatnachlass von Pastor Ludwig Steil, der jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet wird (Foto: Anne Günther/FSU).