Gotha (red, 25. Juni). Rund 200 Teilnehmer, so zählte die Polizei, standen am vorigen Donnerstag vorm Tor der OeTTINGER-Brauerei in Gotha und demonstrierten „Oscar am Freitag“-TV berichtete).
Darunter waren überwiegend deren Beschäftigte, die lautstark auf ihr derzeit größtes Problem hinwiesen: Die Geschäftsführung – von der niemand auf der Demo erschien – hatte ihnen Ende Mai mitgeteilt, dass sie zum 31. Dezember des Jahres vor die Tür gesetzt werden. Von den derzeit 220 Beschäftigten sollen dann nur 20 übrigbleiben.
Begründet wurde dies damit, dass das Geschäft mit Bier in Mehrwegflaschen nicht mehr attraktiv sei. Man wolle vielmehr in Dosen abfüllen.
Eine entsprechende Anlage, die dies kann und deren Betrieb eben nur zwei Hände voll Mannschaft bedürfen, wurde 2021 in Gotha aufgebaut. Ein Schelm, der da Böses denkt – zumal in Gotha künftig nur noch abgefüllt werden solle. Das Bier dafür brauen dann andere Standorte…
Diese Hiobsbotschaft machte seither große Wellen und aktivierte auch Lokal- wie Landespolitik: Kein Wunder, denn die Gothaer Brauerei zahlt die höchste Brausteuer im Freistaat. 2020 verdiente der Freistaat je Hektoliter Bier 8,27 Euro bzw. 4,14 Cent je Halbliterflasche ein – insgesamt rund 20 Mio. Euro.
Gothas Brauerei (Produktion 1,4 Mio. Hektoliter, Stand September 2021, Quelle: OeTTINGER) exportiert in 99 Länder und gehört zu den modernsten der OeTTINGER-Gruppe. Immerhin rund 100 Mio. Euro wurden dafür in den letzte drei Jahrzehnten investiert.
Größter Trinkwasserabnehmer Gothas
Zudem ist sie der größte Abnehmer von Trinkwasser des Wasser- und Abwasserzweckverbandes „Gotha und Landkreisgemeinden“ (WAG). Darauf machte Gothas OB Knut Kreuch bei der Demo aufmerksam. Immerhin 10 % des Gesamtumsatzes des Verbandes werde so erwirtschaftet.
1.700 m3 frisches HaZweiOh flossen bisher täglich durch die speziell für die Brauerei modernisierte 7,5 km lange „Konti“-Leitung. Um 1 Liter Bier brauen zu können, braucht es schließlich mindestens 3 Liter Wasser…
Betriebsrat kündigt Gegengutachten an
Nun wurden Belegschaft, Betriebsrat Volker Ackermann und der Gesamtbetriebsrat Oliver Bosch aus der Kalten erwischt, wie die beiden „Oscar am Freitag“-TV freimütig berichteten. Nicht besser erging es der Lokal- wie Landespolitik – die bemüht sich seither, das Aus abzuwenden.
Zur Demo kamen auch Kolleginnen und Kollegen aus dem OeTTINGER-Standort Mönchengladbach sowie dem Mutterhaus in Oettingen – West und Ost halten zusammen, was ein gutes und deutliches Zeichen an die Geschäftsführung sein dürfte.
Weil ein dubioses Gutachten kursiere, das die Ineffizienz des Gothaer Standorts belegen solle, forderte Volker Ackermann die Geschäftsführung auf, alle zugrundeliegende Unternehmenszahlen auf den Tisch zu legen. Auf dieser Basis wolle Ackermann ein Gegen-Gutachten erstellen lassen – auch deshalb, weil die aktuelle Ausrichtung der OeTTINGER-Gruppe allen Standorten schaden werde. „Wir sind zudem nicht bereit, Managementfehler auszubaden“, bestärkte Ackermann seinen Willen zum Widerstand.
Gewerkschaft: „Wir sind kampfbereit!“
Die Donnerstags-Demo organisierte die Branchen-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Deren Thüringer Chef Jens Löbel erinnerte daran, dass der Standort Gotha der erste der OeTTINGER-Gruppe in den neuen Bundesländern war: „Gotha hat OeTTINGER erst zu dem gemacht, was sie heute ist: Die Nummer 7 unter den vierzig größten Brauereien der Welt!“ Er schwor die Belegschaft auf einen langwierigen Kampf ein, der mindestens Monate währen würde. Das Ziel sei glasklar, den Braustandort Gotha zu erhalten.
Stimmen zur beabsichtigten Schließung:
Gothas OB Knut Kreuch (SPD)
„Es war wie ein Schlag in die Magengrube, als ich die Nachricht von der geplanten Schließung erhalten habe. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass der Standort geschlossen werden soll, der in 99 Länder der Welt Bier liefert und der so den Namen Thüringen und OeTTINGER in die Welt hinausträgt.“
Matthias Hey (SPD, MdL)
„Wir kämpfen gemeinsam – das ist das Signal, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen! Ich danke jenen, die aus Oettingen und Mönchengladbach kamen, einen weiten Weg auf sich genommen haben, um uns hier zu unterstützen. Das beweist, dass sie wissen, was es bedeutet, wenn Gotha fallen würde.“
Oliver Bosch, Gesamtbetriebsratsvorsitzender OeTTINGER Brauereien
„Ich fordere die die Geschäftsführung auf, die Teilschließung nicht nur zu überdenken, sondern sie rückgängig zu machen: ,Übernehmen Sie Verantwortung für 200 Beschäftigte, deren Familien sowie die Zulieferer samt Familien, die auch betroffen sein würden!`“
Landrat Onno Eckert (SPD)
„Unser gemeinsamer Weg, der Kampf um OeTTINGER, hat erst angefangen. Die Belegschaft hat jeden Tag das Kreuz breit gemacht, um das Bier herzustellen. Deshalb sollten wir hier in Gotha alle die Brust rausstrecken und unsere Position deutlich machen. Wenn wir gemeinsam erfolgreich sein wollen, dann brauchen wir auch die Mitarbeiter.
Ich will mich ausdrücklich bei der Gewerkschaft bedanken, die die Schließungspläne bekannt gemacht hat – auch wenn das der Unternehmensführung nicht gefallen hat. Wer aber glaubt, hier Standorte schließen und dies nur hinter verschlossenen Türen besprechen zu können – der hat sich geschnitten!“
Dietmar Kästner, Vorsitzender DGB-Kreisverband Gotha
„Ernst Bloch hat gesagt: ,Nur der sollte hoffen, der etwas für seine Hoffnung tut!`– und das haben wir heute getan!“
Georg Maier (Landesvorsitzender der SPD Thüringen)
„Es ist entgegen aller Vernunft, dieses Werk zu schließen, denn es ist produktiv, es erwirtschaftet Gewinn, es produziert nachhaltig… Ausgerechnet dieses Werk zu schließen, ist eine Unverschämtheit!“
Volker Ackermann, Betriebsrat OeTTINGER Gotha
„Ich habe seit 46 Jahren hier gearbeitet, damals in der Gothaer Brauerei angefangen. Nun bin ich seit der Übernahme durch OeTTINGER im Jahr 1991 Betriebsratsvorsitzender. Natürlich haben wir mitbekommen, dass das Geschäft mit Mehrwegflaschen auch beim Bier rückläufig ist. Dass hier aber deshalb eine Schließung ansteht – und vor allem zu bald –, das habe ich nicht erwartet. Aber das wird schon rechtlich nicht gehen, denn wir haben ganz viele in der Belegschaft, die 20 Jahre und länger dabei sind und die deshalb z. B: eine Kündigungsfrist von mindestens sieben Monaten haben.“
(erweiterte Version des Textes, der im Juni-„Oscar“ veröffentlicht wurde)