Bessere Regulierung lohnt sich

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Arbeit in Angst, unter permanentem Leistungsdruck, immer unter Beobachtung der Chefs – für die Beschäftigten beim Lebensmittel-Discounter Lidl gehört das zum Alltag. So offenbarte es das sogenannte Lidl-Schwarzbuch, mit dem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Jahr 2004 bundesweit Schlagzeilen machte. Auch wenn es seither deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten gegeben hat, noch immer bezahlen die Lidl-Mitarbeiter mit erheblichen psychischen und physischen Belastungen für die günstigen Preise der Kunden.

 

Etablierung gewerkschaftlicher Mitbestimmung ist sehr schwierig

Doch das muss nicht sein, sagt Prof. Dr. Mike Geppert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Es gibt auch Lidl-Filialen, in denen Beschäftigte unter guten Bedingungen arbeiten können und sogar zum großen Teil gewerkschaftlich organisiert sind“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Strategisches und Internationales Management. Allerdings: diese Filialen sind eher im europäischen Ausland zu finden. In Deutschland etwa ist die Etablierung gewerkschaftlicher M itbestimmung in Firmen wie Lidl sehr schwierig – in Finnland dagegen ist es der Regelfall. Möglich macht den Unterschied eine bessere staatliche Regulierung, die insbesondere in Branchen, wie dem Einzelhandel, wo die Gewerkschaften sowieso eher schwach sind, von hoher Bedeutung ist, wie Geppert in einer soeben online erschienenen Arbeit im „European Journal of Industrial Relations“ schreibt (DOI: 10.1177/0959680114544015).

Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam hat der Jenaer Wissenschaftler Management, Organisation und Arbeit in Lidl-Filialen sowie anderen Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel in sieben europäischen Ländern untersucht. Gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung hat das Forscherteam dabei u. a. Arbeits- und Beschäftigungsformen von Lidl-Angestellten in Deutschland, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Finnland vergleichend betrachtet und das umfangreiche Datenmaterial jetzt veröffentlicht.

 

Streng hierarchisch-normierte Entscheidungsprozesse

„Deutsche Firmen, wie die sogenannten Hard-Discounter Lidl und Aldi, sind extreme Sonderfälle, wenn man sich die Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Beschäftigten dort mal näher ansieht, insbesondere wenn man diese Bedingungen dann noch mit den Bedingungen in deutschen Firmen im Produktionsgewerbe vergleicht“, betont Geppert in Bezug auf die Ergebnisse der Studie. Demnach verfolge der in den 1970er Jahren in Deutschland gegründete Konzern eine Management-Strategie, die bisweilen „totalitäre“ Züge tragen kann. „Dies zeigt sich sowohl an den streng hierarchisch-normierten Entscheidungsprozessen innerhalb der Filialen, als auch an der stark zentralisierten Konzernführung, welche bisher erfolgreich verhindert hat, dass Filialmitarbeiter ihre Grundrechte auf Mitbestimmung wahrnehmen können“, erläutert der Jenaer Wirtschaftsforscher. Lidl gelinge es seit Jahrzehnten in Deutschland, die Interessenvertretungen der Beschäftigten nahezu vollständig aus dem Konzern fernzuhalten. So gebe es in den ca. 3.000 deutschen Lidl-Filialen momentan genau sieben Betriebsräte, unterstreicht Geppert. Die Folge sind oft extrem restriktive Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter: Sie arbeiten unter ständiger Kontrolle; als zu gering eingestufte Leistungen werden oft sofort bestraft, eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeitkonten der hauptsächlich teilzeitbeschäftigten Filialmitarbeiter wird dagegen oft als „Privileg“ für solche Mitarbeiter gewährt, welche sich dem militärisch-strengen Arbeitsregime bedingungslos unterwerfen. Viele und besonders neue Lidl-Mitarbeiter haben wöchentliche Teilzeitstundenbudgets, die oft nicht ausreichen, um anfallende Lebenshaltungskosten bestreiten zu können. Das macht solche Beschäftigten dann extrem abhängig vom guten Willen und den „Launen“ der vollbeschäftigten Lidl-Manager. Solch einseitige Abhängigkeiten der Mitarbeiter kommen in vielen Filialen z. B. dann ins Spiel, wenn es – kurzfristig – um wöchentliche Verteilung der individuellen Stundenbudgets geht bzw. – lang- und mittelfristig – um eine vertraglich verbindliche Erhöhung der individuellen Teilzeitkonten

Doch wie lassen sich solche Arbeitsbedingungen, die von einigen Mitarbeitern als „ein ständiges Klima der Angst“ wahrgenommen werden, im 21. Jahrhundert mitten in Deutschland überhaupt aufrechterhalten? Dies liege zum einen an der Personalstruktur, zum anderen am Management selbst. „Wenn Sie sich anschauen, wer bei Lidl arbeitet, dann sehen Sie, das sind vorwiegend Frauen, Migranten und junge Leute in Teilzeit“, erklärt Geppert. Diese Menschen eint ein eher geringer sozialer Status, was dazu führe, dass sie dem autoritären Führungsstil in den Filialen nur wenig entgegenzusetzen haben, so Prof. Geppert weiter. „Zum anderen sorgt die Konzernführung dafür, dass die einzelnen Filialen streng isoliert voneinander arbeiten und es nicht zum Austausch und der Vernetzung der Beschäftigten untereinander kommen kann.“

 

Verbindliche staatliche Regulierung kann sinnvolles Instrument sein

Genau hier wären eigentlich die Gewerkschaften gefragt, ist Geppert überzeugt. Und, so zeige der internationale Vergleich, sie könnten durchaus Einfluss nehmen, wie die Situation in Finnland zeige. „Obwohl auch hier die Arbeitsbedingungen bei Lidl insbesondere anfangs ähnlich restriktiv waren wie in Deutschland und anderen europäischen Lidl-Läden, weichen sie mit der Zeit doch deutlich auf und nähern sich denen anderer Lebensmittelhändler in Finnland an“, so Gepperts Fazit. So wird die Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Beschäftigtenvertreter in Finnland viel besser gesetzlich unterstützt als in Deutschland, wo die vorhandenen Formen der Regulierung, wie beispielsweise das Mitbestimmungsgesetz, in den kleinen Lidl-Filialen einfach nicht greifen und damit Gewerkschaften, wie ver.di, nur wenig Einflussmöglichkeiten bietet. „Folglich gibt es für Lidl in Finnland gar keine Möglichkeiten bzw. ,gesetzliche Lücken‘, die Gewerkschaften aus dem Unternehmen rauszuhalten, wie es etwa in Deutschland der Fall ist.“ Daraus lasse sich der Schluss ziehen, dass eine verbindliche staatliche Regulierung durchaus ein sinnvolles Instrument sein kann, um angemessene Arbeitsbedingungen zu sichern und das lokale Lidl-Management zu einer transparenteren Einteilung der wöchentlichen Teilzeitarbeitskonten für alle Beschäftigten zu animieren.