Über den Gastbesuch eines Romanautors

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie ganz herzlich hier im Gothaer Amtsgericht, 100 Jahre nach dem Besuch von Karl May in Gotha begrüßen. Zur unserer Veranstaltung heiße ich besonders herzlich unsere bisherigen drei Kurd-Laßwitz-Stipendiaten Ursula Muhr, Claudia Engeler und Christoph Kuhn willkommen.

Als wir im vergangenen Jahr, am 30. März, dem Todestag von Karl May, einen der bekanntesten Franzosen, den Schauspieler Pierre Brice in Gotha begrüßen konnten, hatte ich schon angekündigt,  bei der Recherche darauf gestoßen zu sein, dass der „Vater“ von „Winnetou“ und „Old Shatterhand“ sowie tausenden weiteren Figuren bewiesenermaßen auch einmal persönlich in Gotha weilte und sich dieser Besuch am 8. April 2011 zum einhundertsten Male jähren würde. Solche Anlässe sollte man nicht ungenutzt verstreichen lassen und so haben wir Sie heute zu dieser Doppelveranstaltung ins Amtsgericht und anschließend in das Tivoli eingeladen.

Zuerst gilt mein Dank dem Direktor des Amtsgerichtes Michael Wiesenbacher, der uns nach der Marcel-Callo-Ehrung im vergangenen Jahr zum zweiten Mal sein Haus für eine Veranstaltung zur Verfügung stellt. 

Es ist mir eine besondere Ehre auch Bernhard Schmid, den Geschäftsführer des Karl-May-Verlages unter Ihnen begrüßen zu können und darüber hinaus mit Hans-Dieter Steinmetz einen der beiden Autoren, der uns mit seinen Publikationen auf dieses Karl-May-Jubiläum aufmerksam machte. Dieter Sudhoff ist leider nicht mehr unter uns.

Bereits 1997 hatte sich das Karl-May-Haus in Hohenstein-Ernstthal mit einem Schreiben an die Stadtverwaltung Gotha gewand und um Unterstützung bei der Suche nach einem zeitgenössischen Foto des Gothaer Amtsgerichts gebeten, vor dem Karl May 1911 erschienen war.  Historiker Matthias Wenzel half damals bei der Beantwortung dieser Anfrage und so konnte Gotha einen ganz kleinen Teil zu Sonderausstellungen und Museumspublikationen über die Gerichtsprozesse beitragen.

Karl May hat nach einer außerordentlich umfangreichen und erfolgreichen Schaffensperiode die letzten Jahre seines Lebens mit einer Vielzahl von Klagen und Prozessen zugebracht und ich glaube, dass es keinesfalls übertrieben ist, zu behaupten, diese Prozesse haben ihn regelrecht zu Tode gehetzt. Die Angriffe, die der einstige Bittsteller Rudolf Lebius aus Rache gegen May in unglaublicher Intensität gegen den Erfolgsautor führte, konnten nicht ohne Wirkung bleiben. Im Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellern wie Voltaire, Goethe, Schiller oder Gerstäcker (der übrigens einige Zeit lang in Gotha wohnte) galt für Karl May die Reise nach Gotha nicht dem Zwecke des Genusses, ihn führte es wegen des von Rudolf Lebius initiierten Privatklageverfahrens, „gegen die Redakteure Emil Horn und Dagobert Culp, den Buchdruckereibesitzer und Verleger Lehmann, Hohenstein-Ernstthal sowie gegen den Schriftsteller Karl May, Radebeul wegen Beleidigung und Verleumdung“ von Ende 1910 gemeinsam mit seiner Frau Klara hierher, um der Zeugenaussage von Johanne Schneider beizuwohnen.

Auch wenn wir hier im Verhandlungssaal eines Gerichtsgebäudes versammelt sind, möchte ich nicht auf die damaligen juristischen Auseinandersetzungen eingehen. Das würde an dieser Stelle auch viel zu weit führen. Ich möchte nur im Hinblick auf die zeitliche Konstellation des heutigen Tages erwähnen, dass der Schlagabtausch zwischen dem Journalisten Lebius und Karl May durch einen Brief ausgelöst wurde, den der Schriftsteller am 8. April 1904 in Radebeul empfing. In diesem fragte Rudolf Lebius „Können Sie mir vielleicht etwas für mein Blatt schreiben?“  (Old Shatterhand vor Gericht, S. 400). Karl May war so freundlich und lud ihn in die „Villa Shatterhand“ ein. Er sagte selbst dazu „Man darf den Besuch gewisser Journalisten vom Schlage des Herrn Lebius nicht abweisen, zumal wenn sie mit einem, wenn auch noch so kleinen Zeitüngelchen bewaffnet sind, sonst rächen sie sich.“ (Old Shatterhand vor Gericht, S. 400) Lebius rächte sich trotzdem.

Für uns alle ist am heutigen Tag von besonderem Interesse, welche Verbindung von Johanne Schneider zu dem berühmten Schriftsteller bestand und wie es kam, dass sie hier vor genau 100 Jahren vor Amtsgerichtsrat Hans von Kalckreuth, in Gegenwart von Karl und Klara May, zur Zeugenvernehmung saß. Ihr haben wir es letztlich zu verdanken, dass der weltbekannte Autor nach Gotha kam.

Die verwitwete Kunstzeichnerin Johanne Clementine Schneider wurde 1875 in Reinhardsbrunn als Tochter des Herzoglichen Schlosscastellans Theodor Johann Georg Appunn und seiner Frau Fanny geboren. Gemeinsam mit ihrer schließlich verwitweten Mutter und ihrem 19-jährigen Bruder Fritz wohnte sie zu jener Zeit in der Weimarer Wildenbruchstraße 2, als dort  im Jahre 1909 die von Karl May geschiedene erste Ehefrau, die 54-jährige Emma Pollmer einzog. Dass sich zwischen dem jungen Fritz Appunn und der 35 Jahre älteren Frau ein Liebesverhältnis entwickelte, sorgte gerade zur damaligen Zeit für jede Menge Wirbel in diesem Haus und in der Nachbarschaft.

Rudolf Lebius hatte es zu dieser Zeit außerordentlich gut verstanden, die geschiedene Frau Karl Mays für seine Zwecke zu nutzen. In dem er ihr Verständnis entgegenbrachte und ihr auch finanzielle Unterstützung versprach, gelang es ihm parallel zu seinen Klagen jede Menge Informationen über den einstigen Ehemann zu sammeln. Karl May hingegen nutzte die Möglichkeit über die Schwester von Emma Pollmers nunmehrigen Geliebten Fritz Appun Informationen über die Kontakte seiner geschiedenen Frau zu seinem Widersacher Rudolf Lebius zu bekommen.

Johanne Schneider ist gemeinsam mit ihrer Mutter vermutlich Ende 1909 nach Gotha gezogen und dabei ist anzunehmen, dass die Auseinandersetzungen in Weimar sicher einen Anlass dazu gegeben haben könnten. Zwischen Johanne Schneider und Emma Pollmer war es in Weimar nachweislich zu sehr unschönen Szenen im Haus gekommen.  Im aufgeklärten Gotha mieteten die Appun’s in der damaligen Roststraße 10, im Haus von Schuhmachermeister Albert Küstermann, eine Wohnung. Nach Straßenumbenennung und Neuordnung der Nummerierung ist das Haus heute unter der Adresse „Am Tivoli 14“ zu finden.

Von Gotha aus beauftragte Frau Schneider, die aufs äußerste um das Wohl ihres Bruders besorgt war, im Februar 1910 ein Dresdner Detektivbüro, Erkundigungen über das Verhältnis ihres Bruders mit Emma Pollmer anzustellen. Über einen Mitarbeiter dieses Büros erhielt Karl May Kenntnis von ihrem Auftrag und über den Inhalt ihres Briefes. Am 17. April 1910 reiste seine zweite Ehefrau Klara dann nach Gotha, um Johanne Schneider zu Hause zu besuchen und dort einen Brief Emma Pollmers an Fritz Appunn abzuschreiben. Ob sie dabei von Karl May begleitet wurde, ist nicht bekannt. Der Direktor des Schlossmuseums Bernd Schäfer war so freundlich und hat vorsichtshalber im Besucherbuch des Herzoglichen Museums nachgeschaut, konnte dort aber leider keinen Eintrag Karl May’s an diesem Tage finden. Sicher ist sicher – wir haben es versucht!

Als schließlich vom Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal festgelegt wurde, dass alle Zeugen für das eingangs erwähnte Verfahren in den Heimatorten anzuhören sind, und auch Johanne Schneider gemeinsam mit ihrer Mutter benannt worden war, rückte auch Gotha wieder in den Blickpunkt der Mays. Zunächst war diese Zeugenaussage vor dem Gothaer Amtsgericht für den 9. Februar 1911 angesetzt, doch wegen der Erkrankung Karl May’s wurde diese auf Samstag, den 8. April 1911 verschoben. Damit wären wir an jenem historischen Datum angelangt, an das heute, genau nach 100 Jahren erinnert werden soll.

Am Morgen jenes Tages, kurz vor 9.30 Uhr passierte Johanne Schneider, vier Tage zuvor hatte sie ihren 36. Geburtstag gefeiert, möglicherweise zu Fuß von der Wasserkunst herunter kommend den großen Bauplatz an jener Stelle, an der heute das Neue Rathaus steht. Hier hatte man zuvor das „Bayerische Bierhaus“ abgerissen. Innerhalb einer zehnmonatigen Bauzeit entstand dort später das Schlosshotel. Karl May wird mit seiner Frau Klara das Gothaer Amtsgericht mit einer Droschke erreicht haben. Nach seiner noch nicht auskurierten Lungenentzündung wird er den Weg wohl nicht zu Fuß zurück gelegt haben können. Die Fahrt ging entlang der Straßenbahngleise und als das Gefährt in die damalige Friedrichsallee und heutige Justus-Perthes-Straße einbog, könnte das Ehepaar einen Blick auf das Winterpalais geworfen haben. Das geschichtsträchtige Gebäude, Witwensitz der Frauen der Gothaer Herzöge, war damals noch in Nutzung und keiner ahnte, dass es in einer Zeitspanne von fast einhundert Jahren keine Sanierung erleben würde. Nach langem Kampf um Fördermittel ist es erst jetzt gelungen eine Perspektive zu entwickeln. Das Winterpalais wird nach der Sanierung unsere neue Stadtbibliothek. Mit absoluter Sicherheit wird es für die Nutzer auch die Werke Karl May’s zur Ausleihe bereithalten.

Über den Aufenthalt von Karl und Klara May gibt es außer des Protokolls der Zeugenaussage keinerlei verbriefte Aussagen. Die Gothaerinnen und Gothaer, die ihnen auf dem Weg zwischen Bahnhof und Amtsgericht begegneten, werden ihren Augen wohl kaum getraut haben. Auch der zweite Blick in das Gästebuch des Herzoglichen Museums vom 8. April 1911 brachte keinen Hinweis auf die weitere Gestaltung des Aufenthaltes in Gotha.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir wollen uns insbesondere mit den verbrieften Tatsachen der Ereignisse rund um die Zeugenaussage Johanne Schneiders beschäftigen. Dazu haben wir einige Passagen aus der von Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz erarbeiteten Karl-May-Chronik ausgewählt, die von den drei bisherigen Gothaer Kurd-Laßwitz-Stipendiaten Christoph Kuhn, Claudia Engeler und Ursula Muhr gelesen werden. Anlässlich dieser Veranstaltung treffen sich die Gothaer Stadtschreiber der Jahre 2008, 2009 und 2010 zum ersten Mal. Ich freue mich, dass sie so spontan zu diesem ersten Stadtschreibertreffen zusagen konnten. Der Namenspatron des Stipendiums, der Lehrer und Schriftsteller Kurd Laßwitz war übrigens ein Zeitgenosse Karl May’s. Laßwitz wurde 1848, sechs Jahre nach Karl May geboren. Er starb als erfolgreicher „Vater des modernen Sience fiktion“ im Oktober 1910 in Gotha. Karl May überlebte ihn um eineinhalb Jahre, den Besuch in Gotha aber nicht einmal ein ganzes Jahr.

Das Privatklageverfahren dauerte über Mays Tod hinaus und endete mit einem Vergleich zwischen dem mitangeklagten Emil Horn und dem Privatkläger Rudolf Lebius am 31.03.1913.

Karl May starb am 30. März 1912, wenige Tage nachdem er im Wiener Sophiensaal vor 2.000 Menschen seinen Vortrag „Empor ins Reich der Edelmenschen“ gehalten hatte. Die österreichische Friedenskämpferin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner hatte mit dem umjubelten Schriftsteller zuvor brieflich korrespondiert, bat ihn in seinem Vortrag auf ihr Buch hinzuweisen. Vor dem Auftritt besuchte sie ihn im Hotel und saß im Saal selbst sogar in der ersten Reihe.

Bertha von Suttner war nicht nur eine entschiedene Friedensaktivistin, sie war auch Mitglied des Vereins „Die Flamme“, der die Feuerbestattung propagierte. Das erste deutsche Krematorium entstand in Gotha und Bertha von Suttner hatte testamentarisch verfügt, hier bei uns eingeäschert zu werden. Sie starb bereits im Juni 1914. Ihrer Verfügung wurde entsprochen und ihre Urne steht seither im Kolumbarium auf dem Gothaer Hauptfriedhof.

Auch Johanne Schneider, die uns heute neben der Person Karl May’s beschäftigt hat, und die am 4. April 1935 im Alter von 60 Jahren in Gotha starb, wurde auf den Tag genau heute vor 76 Jahren, um 11.30 Uhr eingeäschert. Sie sehen der achte April hatte nicht nur im Leben Karl Mays, sondern auch um seine Lebensgeschichte herum eine besondere Bedeutung.

Publiziert: 8. April 2011, 15.42 Uhr